Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei längerer Unterbringung in stationärer Einrichtung. Aufenthalt in Adaptionseinrichtung nach Entwöhnungsbehandlung. Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung

 

Orientierungssatz

1. Eine Adaptionsbehandlung bildet regelmäßig den Abschluss in der dreistufigen Therapie von Suchterkrankungen. Sie soll den Patienten nach der Entzugsbehandlung und psychischen Entwöhnung in die Lage versetzen, seinen Alltag wieder eigenverantwortlich zu gestalten und einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Solange diese Behandlung benötigt wird, ist der Patient gerade noch nicht in der Lage zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung und die Gesamtverantwortung für die Lebensführung liegt daher zwingend bei dem Adaptionshaus.

2. Die Rückausnahme vom Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs 4 S 3 Nr 2 SGB 2 bedingt die tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit von 15 Wochenstunden.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Schwerin vom 28.03.2020 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Dauer seines Aufenthalts in der zur Adaptionsbehandlung.

Der Antragsteller wurde nach einer in der M.-Klinik M. absolvierten Entwöhnungsbehandlung am 04.03.2020 zur anschließenden Adaption in die M.-Klinik Sch. aufgenommen. Am gleichen Tag stellte er bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Hierbei legte er eine Bescheinigung der Klinik vor, nach welcher die Behandlung voraussichtlich bis zum 24.06.2020 andauern werde.

Mit Bescheid vom 17.03.2020 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab, da der Antragsteller in einer stationären Einrichtung untergebracht sei und daher nach § 7 Abs. 4 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts habe.

Am 23.03.2020 stellte der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz und machte geltend, dass er seit dem 04.03.2020 ohne Einkommen sei.

Der Antragsteller hat nach Auslegung des Sozialgerichts beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller für die Zeit vom 04.03.2020 bis 24.06.2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er hat an seiner Auffassung festgehalten, dass der Antragsteller nach § 7 Abs. 4 SGB II von Leistungen zur Grundsicherung nach diesem Gesetz ausgeschlossen sei.

Kennzeichnend für das Tatbestandsmerkmal der Unterbringung sei, dass die stationäre Einrichtung die Gesamtverantwortung für die Lebensführung des Patienten und dessen Integration auf dem Arbeitsmarkt trage. Das Verhältnis zwischen Antragsteller und Adaptionseinrichtung sei vergleichbar mit dem Fall, welchen das LSG M-V am 26.02.2019 (L 10 AS 711/16) entschieden habe. Der Antragsteller sei über seinen gesamten Tagesablauf rechenschaftspflichtig und ihm würden die finanziellen Mittel zur eigenen Versorgung individuell von der Adaptionseinrichtung ausgegeben. Er sei dem Therapiekonzept vollumfänglich unterworfen. Danach trage die stationäre Einrichtung die Gesamtverantwortung für die Lebensführung des Antragstellers.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 28.03.2020 den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II in Höhe des Regelbedarfes für die Zeit vom 04.03. bis 24.06.2020 zu gewähren.

Der Antragsteller habe sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Ablehnungsbescheid des Antragsgegners vom 17.03.2020 erweise sich bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtswidrig, denn der Antragsteller könne seinen Hilfebedarf, der mangels entstehender Unterkunftskosten in Höhe des Regelbedarfes von 434 € monatlich bestehe, bis einschließlich Juni 2020 mangels eigenen Einkommens und Vermögens nicht selbst decken.

Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ergäben sich mangels jedweder diesbezüglicher Sachverhaltsermittlungen des Antragsgegners keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller gemäß § 7 Abs. 4 SGB II bereits dem Grunde nach von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sein könnte. Gemäß § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II erhalte Leistungen nach dem SGB II nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Hiervon abweichend erhalte gemäß Satz 3 Leistungen nach dem SGB II, wer voraussichtlich weniger als 6 Monate in einem Krankenhaus untergebracht oder einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig sei. Diese Voraussetzungen für einen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II lägen hier nach derzeitiger Aktenlage nicht vor, denn es gäbe keine Anhaltspunkte dafür...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge