Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ersatzanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens. Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses in der Probezeit

 

Orientierungssatz

1. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer ist, wenn dadurch sehenden Auges ohne wichtigen Grund der Verlust eines bedarfsdeckenden Einkommens und der Eintritt von Arbeitslosigkeit herbeigeführt wird, der Musterfall einer sozialwidrigen Handlung.

2. Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf diese Entscheidung bestehen nicht. Nach der Rechtsprechung des BSG ist das Aufrechterhalten von Hilfebedürftigkeit kein Herbeiführen der Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB II und begründete nach dem bis zum 31.7.2016 geltenden Recht keinen Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten (vgl BSG vom 8.2.2017 - B 14 AS 3/16 R = SozR 4-4200 § 34 Nr 3). Eine sich hieraus ergebende mögliche Ungleichbehandlung von Personen, die eine Beschäftigung außerhalb des Leistungsbezugs beenden, und Personen, die sich während des Leistungsbezugs weigern eine Beschäftigung aufzunehmen, kann sachlich gerechtfertigt werden.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 07.10.2020; Aktenzeichen B 14 AS 418/19 B)

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Umstritten ist ein Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten.

Der 1984 geborene Kläger war vom 1. Mai 2013 bis zum 31. August 2013 als Junior-Berater bei einer Unternehmensberatung beschäftigt. Sein Verdienst betrug 3.377,63 Euro brutto bzw. 2.087,55 Euro netto pro Monat. Am 12. Juli 2013 kündigte er das Arbeitsverhältnis noch während der Probezeit zum 31. August 2013 und beantragte, weil ein Anspruch auf Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nicht bestand, beim Beklagten am 3. September 2013 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), welche ihm für die Zeit vom 1. September 2013 bis zum 31. Dezember 2013 in Höhe von 862,50 Euro monatlich und vom 1. Januar 2014 bis zum 31. August 2014 in Höhe von 871,50 monatlich bewilligt wurden.

Vom Beklagten mit Schreiben vom 19. September 2013 dazu angehört, dass er seine Hilfebedürftigkeit möglicherweise schuldhaft ohne wichtigen Grund herbeigeführt habe, sodass er zum Ersatz der gezahlten Leistungen verpflichtet sei, teilte der Kläger mit, es sei angedacht gewesen, dass er die Rolle eines Prozessberaters ausfülle. Auch habe er im Bewerbungsgespräch angegeben, „weniger Interesse an SAP zu hegen“. Seine Aufgaben seien dann aber sehr technisch gewesen. Er sei mit Cashmining-Aufgaben betraut worden und habe das Gefühl gehabt, zu einem Techniker transformiert zu werden. Er habe immer wieder versucht, von seinem Vorgesetzten Aufgaben im Prozessbereich zu erhalten, der Vorgesetzte habe aber des Öfteren keine Zeit für ihn gehabt und ihn auf spätere Termine vertröstet. Versuche, das Beschäftigungsverhältnis zu einem späteren Termin zu beenden, habe er nicht unternommen, der Faktor Zeit spiele nämlich eine große Rolle, wenn man, wie er, eine Fehlentscheidung bei der Berufswahl getroffen habe. Ihm sei schon klar, dass beschäftigt zu sein einen hohen Wert habe, aber das gelte nicht um jeden Preis. Er sei weder ein Fachmann für Informationstechnologie noch Ingenieur und habe das Cashmining in SAP als emotional sehr belastend empfunden. Zudem sei das dabei aufgebaute Wissen bei keinem anderen Wirtschaftsteilnehmer in Deutschland anwendbar gewesen. Dieser Umstand und die Belastung durch ständige Reisen nach Mainz und Offenburg hätten ihn kündigen lassen.

Mit Bescheid vom 12. März 2014 stellte der Beklagte fest, dass der Kläger zum Ersatz der ihm vom 1. September 2013 bis zum 31. März 2014 gezahlten Leistungen in voller Höhe von 6.064,50 Euro verpflichtet sei. Zur Begründung wurde auf § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II verwiesen. Hiernach sei zum Ersatz der an ihn gezahlten Leistungen verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig ohne wichtigen Grund die Voraussetzungen für den Leistungsbezug herbeigeführt habe. Der Kläger habe hier seine Hilfebedürftigkeit herbeigeführt, indem er sein Arbeitsverhältnis vorsätzlich selbst beendet und damit sein existenzsicherndes Einkommen verloren habe. Ein wichtiger Grund stehe ihm hierfür nicht zur Seite.

Im hiergegen erhobenen Widerspruch vom 4. April 2014 trug der Kläger durch seinen Bevollmächtigten vor, dass er zu einem Zeitpunkt, da er noch nicht hilfebedürftig gewesen sei, von seinem ehemaligen Arbeitgeber mit nicht eingehaltenen Versprechen zum Vertragsabschluss verleitet worden sei; deshalb sei seine Kündigung nicht als sozialwidrig anzusehen. Zudem habe § 34 SGB II in seiner vorherigen Fassung bestimmt, dass von der Geltendmachung des Ersatzanspruches abzusehen sei, soweit sie den Ersatzpflichtigen künftig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch oder von Leistungen nach dem Zwölften Bu...

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