Entscheidungsstichwort (Thema)

Regress. Ermessen. Eingeschränkte gerichtliche Kontrolle. Einzelfallprüfung. Verordnung eines Fertigarzneimittels. LeukoNorm. Allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse. Wirtschaftlichkeitsgebot. Verkehrsfähigkeit. Übergangsrechtliche Position. Nachzulassungsverfahren. Bestandsschutz. Beratung. Verschulden. Vertrauensschutz. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Verordnet der Vertragsarzt ein Arzneimittel, das nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden darf, so liegt ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot vor, der einen Regress rechtfertigt. Dies gilt unabhängig davon, ob der Vertragsarzt schuldhaft gehandelt hat.

2. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, wenn es nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf, diese Zulassung aber nicht erteilt worden ist. Die bloße Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels genügt nicht, insbesondere dann nicht, wenn sie auf einer übergangsrechtlichen Position in einem laufenden Nachzulassungsverfahren beruht.

 

Normenkette

SGB V § 2 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 12 Abs. 1, § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, §§ 31, 106 Abs. 2, 5; AMG §§ 1, 4 Abs. 1

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. März 2007 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit ist die Rechtmäßigkeit von Arzneimittelregressen mit Blick auf die Verordnung des Medikaments LeukoNorm C.® (im Folgenden: LeukoNorm) für die Quartale II/2003, III/2003, IV/2003, I/2004 und II/2004.

Der Kläger hat seine medizinische Ausbildung in der Türkei absolviert und an der Universität I. im Bereich der Medizin promoviert ("TIP Dr. Univ. Ist."). Er nimmt als Facharzt für Frauenheilkunde an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung teil. Er hat sich auf die Reproduktionsmedizin spezialisiert und ist Gründer und Leiter des K.-Zentrums "K.". Der Kläger erbringt insbesondere ärztliche Leistungen in Form von IVF- und ICSI-Behandlungen.

Das Arzneimittel LeukoNorm der C. AG ist ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel in der Darreichungsform Trockensubstanz und Lösungsmittel. Es ist ein verschreibungspflichtiges Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung (Auflösung in isotonischer Natriumchloridlösung), die intramuskulär zu injizieren und vom Hersteller zur Anwendung bei Erwachsenen gedacht ist. Der Wirkstoff ist humanes Leukozyten-Ultrafiltrat, das aus den weißen Blutkörperchen gesunder Blutspender gewonnen wird. LeukoNorm wird als Immuntherapeutikum eingesetzt bei Erkrankungen der körpereigenen Abwehr. Durch LeukoNorm wird ein immunologischer Impuls gesetzt, der eine Normalisierung unzureichender oder überschießender immunologischer Reaktionen ermöglicht. Das Arzneimittel wird nach der Gebrauchsinformation des pharmazeutischen Unternehmers angewendet bei Erkrankungen, bei denen eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit der körpereigenen Abwehr (Immunsystem) nachgewiesen wurde oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu vermuten ist. Hierzu gehören nach der Gebrauchsinformation als sonstige Indikationen auch immunologisch bedingte habituelle Aborte und die Verbesserung der Ergebnisse bei immunologisch bedingten, mehrfachen, frustranen Behandlungszyklen bei künstlicher Befruchtung (IVF oder ICSI).

Das Arzneimittel war in der DDR entwickelt und dort 1986 zugelassen worden und aufgrund dieser Zulassung dort verkehrsfähig. Aufgrund des Einigungsvertrages vom 3. Oktober 1990 in Verbindung mit § 2 Nr. 2 und Anlage 3 Kapitel II Nr. 1 § 4 Abs. 1 der Verordnung zur Überleitung des Rechts der Europäischen Gemeinschaften auf das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet vom 18. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2915) - eine dem § 105 des Arzneimittelgesetzes (AMG) vergleichbare Übergangsnorm - galt es als sog. DDR-Altarzneimittel auch im Gebiet der alten Bundesrepublik als zugelassen (sog. fiktive Zulassung) und war bei Stellung eines Verlängerungsantrags verkehrsfähig. Ein Wirksamkeitsnachweis nach den Regeln des AMG liegt einer fiktiven Zulassung nicht zugrunde. Eine Arzneimittelzulassung nach §§ 21 und 25 AMG liegt mit ihr nicht vor. Erst mit der Verlängerung des Arzneimittels - vgl. § 4 Abs. 2 der oben genannten Verordnung und § 105 AMG - ist die Prüfung der Wirksamkeit nach dem AMG abgeschlossen und hat das Arzneimittel eine Zulassung nach dem geltenden AMG. Ein Antrag auf Verlängerung der - fiktiven - Zulassung (sog. Nachzulassung) war im Juni 1991 durch die C. AG gestellt worden. Bei LeukoNorm handelte es sich danach um ein Arzneimittel im Nachzulassungsverfahren, ohne dass der Nachzulassungsantrag in den streitbefangenen Quartalen abschließend bearbeitet war, und das bis zum Abschluss dieses Verfahrens arzneimittelrechtlich weiter in den Verkehr gebracht werde...

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