Leitsatz (amtlich)

Wer sich freiwillig auf ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einer Zufallsbekanntschaft einläßt, hat eine dabei erworbene Aids-Infektion wesentlich mitverursacht und deshalb keinen Anspruch auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

 

Verfahrensgang

SG für das Saarland (Urteil vom 06.10.1993; Aktenzeichen S 18/17 Vg 187/91)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 18.10.1995; Aktenzeichen 9 RVg 5/95)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 6. Oktober 1993 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zustehen. Streitig ist insbesondere, ob es wegen eines im eigenen Verhalten des Klägers liegenden Grundes unbillig wäre, eine Entschädigung zu gewähren.

Der Kläger ist mit dem HIV-Virus infiziert. Er leitet diese Infektion von einem gleichgeschlechtlichen Kontakt her, den er am 27. Juni 1987 und am 29. oder 30. Juni 1987 mit dem Schädiger hatte. Der Schädiger, der seinerseits mit dem HIV-Virus infiziert war und mittlerweile an AIDS verstorben ist, wurde wegen gefährlicher Körperverletzung, begangen zu Lasten des Klägers, letztinstanzlich durch Urteil des Bundesgerichtshofes vom 12. Oktober 1989 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 6 Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Zu dem angeschuldigten Ereignis kam es nach den vom Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben des Klägers und nach den im erwähnten Strafverfahren getroffenen Feststellungen in der Weise, daß der Kläger am 27. Juni 1987 nach Beendigung seines Dienstes als Taxifahrer gegen 3.00 Uhr das ihm bekannte Homosexuellenlokal M. betrat, wo sich unter anderem der ihm bis dahin unbekannte Schädiger mit zwei Freunden aufhielt. Der Kläger machte auf sich aufmerksam, kam in Kontakt mit dem Schädiger, wobei es zu der Vereinbarung kam, daß der Kläger mit seinem Taxi den Schädiger nebst Begleitung zu dessen Wohnung nach B. fahren würde. Die zwei Freunde des Schädigers stiegen an dessen Wohnung aus, während der Kläger und der Schädiger zu einem Waldstück weiterfuhren, um an einer ihnen geeignet erscheinenden Stelle sexuelle Handlungen vorzunehmen. Zwischen dem Kläger und dem Schädiger kam es zum Analverkehr, wobei der Schädiger aktiv, der Kläger passiv beteiligt war. Zuvor hatte der Kläger dem Schädiger gegenüber sinngemäß erklärt: „Ich bin okay” oder „Ich bin sauber”.

Der Schädiger hatte hierauf nichts erwidert und den Kläger auch nicht über die bei ihm bestehende und ihm bekannte HIV-Infektion informiert. Einen oder zwei Tage später, am 29. oder 30. Juni 1987, suchte der Kläger den Schädiger, von dem er auch jetzt nur den Vornamen wußte und dessen Wohnung er deshalb auch nicht sogleich fand, in dessen Wohnung auf, wo es erneut zum Analverkehr kam, wobei auch in diesem Fall der Schädier dem Kläger nichts von seiner HIV-Infektion mitteilte. Bei beiden Kontakten ist ein Kondom nicht benutzt worden.

Mit einem am 17. Oktober 1988 beim Beklagten eingegangenen Antrag begehrte der Kläger die Gewährung von Leistungen nach dem OEG. Mit Bescheid vom 21. März 1991 lehnte der Beklagte das Begehren des Klägers ab, da – wenn auch ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff vorgelegen habe – eine Opferentschädigung wegen Unbilligkeit zu versagen sei; der Kläger habe sich in hohem Maße vernunftwidrig verhalten, indem er mit einem ihm völlig unbekannten Mann den ungeschützten Analverkehr ausgeführt habe, obwohl das Risiko eines solchen Kontaktes allgemein bekannt gewesen sei. Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 14. August 1991 zurückgewiesen.

Durch Urteil vom 6. Oktober 1993 hat das Sozialgericht für das Saarland (SG) die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß – insbesondere im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung des Schädigers – die Tatbestandvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG gegeben seien, wonach derjenige, der im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes erhält; es liege jedoch der Versagungsgrund des § 2 Abs. 1 OEG vor, wonach Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren; hierbei setze die Leistungsversagung aus Unbilligkeit voraus, daß das tatfördernde Verhalten des Geschädigten schwer wiege und vorwerfbar sei, was besonders dann der Fall sei, wenn der Geschädigte in hohem Maße unvernünftig handele und sich erkennbar in eine Gefahrenlage begebe, in der er mit einer Schädigung rechnen müsse; diese Voraussetzungen seien im vorlie...

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