Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Asylbewerber. kein Beitritt als schwerbehinderter Mensch zur freiwilligen Versicherung bei Verfehlung der notwendigen Vorversicherungszeit nicht nur und ausschließlich aus behinderungsbedingten Gründen. Rechtsschutzinteresse an Klärung auch bei Personen gegeben, die materiell über § 264 SGB 5 abgesichert sind

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Rechtsschutzinteresse an der gerichtlichen Klärung der Frage, ob eine schwerbehinderte Person durch Beitrittserklärung freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 9 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 5 geworden ist, fehlt nicht deshalb, weil diese Person über § 264 SGB 5 materiell wie ein gesetzlich Krankenversicherter abgesichert ist.

2. Eine Asylbewerberin, deren Asylverfahren bestandkräftig negativ abgeschlossen ist, deren Abschiebung in ihr Heimatland wegen Täuschung über ihren Namen und ihre Herkunft nicht möglich war und bei der in der Folge alleine wegen einer schwerwiegenden dauerhaften Erkrankung ein Abschiebungshindernis iS von § 60 Abs 7 des Aufenthaltsgesetzes (juris: AufenthG 2004) festgestellt wird, ist nicht befugt, nach Feststellung ihrer Schwerbehinderteneigenschaft und Erteilung eines Aufenthaltstitels mit Gestattung einer Erwerbsfähigkeit als freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 9 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 5 beizutreten. In diesem Fall war die Nichterfüllung der in dieser Norm geforderten Vorversicherungszeit (in den letzten 5 Jahren mindestens 3 Jahre) nicht nur und ausschließlich behinderungsbedingt, denn ohne die Behinderung hätte sie ein Bleiberecht mit der Möglichkeit, einer versicherungspflichtigen Tätigkeit nachzugehen, nicht erwerben können (im Anschluss an BSG vom 28.5.2008 - B 12 KR 16/07 R = SozR 4-2500 § 9 Nr 2).

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 29.11.2013 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige, …1985 geboren und betrieb nach illegaler Einreise und Aufgreifen in M. unter zwei Aliasnamen sowie unter zwei verschiedenen Staatsangehörigkeiten (Nigeria/Liberia) in Deutschland seit 2003 Asylverfahren. Ein erster Asylantrag wurde mit Bescheid vom 4.11.2003 abgelehnt, ein weiterer mit Bescheid vom 15.7.2004. Aufgrund eines Sprachtests im April 2006 wurde als Herkunftsland der Klägerin seitens des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Nigeria ermittelt. Durch Bescheid vom 16.8.2007 hob das Bundesamt die im Bescheid vom 4.11.2003 enthaltene Abschiebungsandrohung auf. Außerdem änderte es diesen Bescheid dahin ab, dass hinsichtlich Nigeria ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes im Hinblick darauf vorliegt, dass die Erkrankung der Klägerin in Nigeria nicht behandelt werden kann, aber die übrigen Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes nicht bestehen.

Die Klägerin ist wegen einer unheilbaren dialysepflichtigen Niereninsuffizienz aufgrund eines Goodpasture-Syndroms verbunden mit einer psychotischen Symptomatik nach der Dialyse von 2003 bis April 2014 in stationärer Behandlung gewesen, seit 17.1.2005 mit Unterbrechungen und seit 27.7.2006 ununterbrochen in der Uniklinik Ho.. Seit April 2014 lebt sie in einer Einrichtung des betreuten Wohnens in Z.. Ab 24.6.2004 war sie im Besitz einer mehrfach verlängerten Duldung; nach dem Bescheid vom 16.8.2007 erhielt sie auf Antrag am 24.10.2007 eine Aufenthaltserlaubnis mit der Nebenbestimmung, dass eine Erwerbstätigkeit gestattet sei. Diese wurde am 21.3.2012 in einen elektronischen Aufenthaltstitel (eAT) umgewandelt. Seit 31.3.2014 wird der eAT unter dem richtigen Namen der Klägerin geführt.

Durch ihren damaligen Betreuer übermittelte die Klägerin der Beklagten über das Sozialamt der Stadt Z., welches der Klägerin Leistungen gewährt sowie die Krankheitskosten seit 2004 trägt, unter dem 28.11.2010 eine Anmeldung zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung nach § 9 SGB V. Sie wolle Mitglied der Beklagten werden und Grund der freiwilligen Versicherung sei das Beitrittsrecht als Behinderter nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V. Sie beantrage die freiwillige Krankenversicherung zur Fristwahrung und bitte, das Verfahren bis zur Entscheidung über die Feststellung der Schwerbehinderung ruhend zu stellen.

Mit Bescheid vom 31.3.2011 stellte das Landesamt für Soziales eine Schwerbehinderung mit einem GdB von 100 sowie die Merkmale G und B fest; die Gültigkeit wurde ab 1.12.2010 festgelegt.

Mit Bescheid vom 12.1.2011 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Asylbewerber hätten grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen bei Krankheit nach § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes; nach § 5 Abs. 8a SGB V sei aufgrund dieses Leistungsanspruchs eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausgeschlossen, was auch für Personen gelte, die einen Aufenthaltstitel nach §§ 23 Abs. 1, 24, 2...

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