Leitsatz (amtlich)

1. Der Bundesanstalt für Arbeit (BA) steht es frei, ob sie sich auf das Vorliegen des Ruhenstatbestandes des § 116 Abs 3 AFG aF in dem 2-stufig ausgestalteten Verfahren für das Kurzarbeitergeld (Kug) bereits bei der Entscheidung über die Anerkennung der betrieblichen Voraussetzungen (§ 72 Abs 1 S 4 AFG) oder erst in der zweiten Stufe bei der Entscheidung über den Leistungsantrag gemäß § 72 Abs 2 AFG berufen will.

2. Der Schnellbrief des Präsidenten der BA vom 8.5.1984, mit dem das Ruhen der Leistungsansprüche von Arbeitnehmern angeordnet wurde, die in der Metallbranche mittelbar von den Auswirkungen eines Arbeitskampfes in Nordwürttemberg-Nordbaden und in Hessen außerhalb dieser Kampfgebiete betroffen wurden, ist kein Verwaltungsakt, auch nicht iS einer Allgemeinverfügung.

3. Der Anspruch auf Kug setzt das - zumindest teilweise - Fehlen eines arbeitsrechtlichen Entgeltanspruchs voraus.

4. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben trotz gewisser rechtsdogmatischer Bedenken die vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entwickelte Rechtsprechung zum Arbeitskampfrecht, insbesondere dessen Lehre vom Arbeitskampfrisiko, aus Gründen der Rechtssicherheit zu respektieren, soweit festzustellen ist, ob arbeitsrechtlich ein Anspruch auf Arbeitsentgelt bestand.

5. Die Ruhenstatbestände des § 116 AFG aF und des § 4 NeutralitätsAnO aF erfaßten allein die Fälle der Gewährung, nicht aber der Nichtgewährung von Leistungen. Nur durch Gewährung konnte die BA eventuell ihre Neutralitätspflicht verletzen.

6. Die historische Auslegung führt zu der Feststellung, daß die Ruhenstatbestände des § 116 Abs 3 S 1 AFG aF Ausnahmefälle von der Grundregel darstellen, daß mittelbar betroffene Arbeitnehmer außerhalb des Geltungsbereichs des umkämpften Tarifgebietes grundsätzlich Leistungen von der BA erhalten, sofern im übrigen die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis gebietet eine restriktive Auslegung. Auf eine Änderung der Arbeitsbedingungen der mittelbar betroffenen Arbeitnehmer zielt ein Arbeitskampf nur ab, wenn die Übernahme des umkämpften Tarifvertrages rechtsverbindlich sichergestellt ist. Diese Voraussetzungen erfüllen nicht Arbeitskämpfe mit Signalwirkung, sondern nur Modellarbeitskämpfe, wenn in den verschiedenen Tarifgebieten nicht nur gleiche Forderungen erhoben worden sind, sondern die Übernahme des "Kampfergebnisses" in einem rechtsverbindlichen Sinne gesichert ist. In der Tarifauseinandersetzung 1984 in der Metallindustrie war für das Tarifgebiet Unterweser eine Übernahme des in Nordwürttemberg-Nordbaden umkämpften Tarifvertrages nicht in einem rechtsverbindlichen Sinne sichergestellt.

7. Die am 24.5.1986 in Kraft getretene Neufassung des § 116 Abs 3 AFG diente nicht der Beseitigung einer Rechtsunsicherheit und damit der Klarstellung eines bereits bestehenden Rechtszustandes. Der erheblich modifizierte und ausgeweitete Abzieltatbestand beinhaltet eine echte gesetzliche Neuregelung, die für die Auslegung des bisherigen alten Rechts unerheblich ist.

8. Die Reichweite der Neutralität der BA deckt sich nicht mit der Reichweite des arbeitsrechtlichen Arbeitskampfrisikos. § 116 AFG ist keine Norm des Arbeitskampfrechts, sondern des Rechts der Arbeitslosenversicherung. Das Merkmal "beeinflussen" iS des § 116 Abs 3 S 1 Nr 2 AFG aF bestimmt sich demzufolge nicht nach der Lehre vom Arbeitskampfrisiko.

9. Um eine uferlose Anwendung des Einflußtatbestandes zu vermeiden, gebietet das Regel-Ausnahme-Verhältnis wiederum eine restriktive Anwendung. Ein Beeinflussen eines Arbeitskampfes kann nur angenommen werden, wenn die Gewährung von Leistungen durch die BA die jeweilige Position bzw Situation der kämpfenden Tarifpartner in einem rechtlich oder tatsächlich wesentlichen Umfang zu ändern vermag.

10. Eine Beeinflussung des Arbeitskampfes in der Metallindustrie in Nordwürttemberg-Nordbaden im Mai/Juni 1984 konnte durch die Gewährung von Kug an mittelbar betroffene Arbeitnehmer in Bremen in einem materiellen Sinn nicht erfolgen. Anspruchsinhaber dieser Leistungen waren die Arbeitnehmer in Bremen, nicht aber die kampfführenden Tarifpartner in Nordwürttemberg-Nordbaden. Durch die Gewährung von Kug wurde in diesem Fall auch nicht die "Streikkasse" der Gewerkschaft (IG Metall) entlastet, weil diese satzungsrechtlich nicht zu Leistungen an mittelbar vom Arbeitskampf betroffene Arbeitnehmer verpflichtet war. Auch ein Beeinflussen in einem nicht-materiellen Sinn lag nicht vor, weil im Falle der antragsgemäßen Gewährung von Kug ein sogenannter Binnendruck durch organisierte Arbeitnehmer auf die Gewerkschaft von vornherein nicht entstanden wäre.

11. Die Kampfstrategie der IG Metall im Arbeitskampf 1984 stellte keine originell neue Kampfführung dar, die evtl eine neue Bewertung des Sachverhalts innerhalb des Einflußtatbestandes des § 116 Abs 1 S 1 Nr 2 AFG aF rechtfertigen könnte.

12. Die Belastungen eines mittelbar betroffenen Betriebes außerhalb des räumlichen Geltungsbereiches des umkämpften Tarifvertrages, insbesonde...

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