Entscheidungsstichwort (Thema)

Höherstufung auf Pflegestufe II bei gesetzlicher Pflegeversicherung

 

Orientierungssatz

1. Die Beaufsichtigung bei der Nahrungsaufnahme stellt einen pflegerelevanten Bedarf als Teil der Grundpflege dar, wenn das Essverhalten des Pflegebedürftigen die volle Aufmerksamkeit der Pflegeperson beansprucht und der Hilfebedarf wie beim Füttern von einer solchen Intensität ist, dass die Pflegeperson nebenher praktisch keine anderen Aufgaben wahrnehmen kann.

2. Bei einem regelmäßig mindestens einmal die Woche notwendigen Arztbesuch zählt zum Mobilitätsbedarf als Teil der Grundpflege die notwendige Begleitung des Pflegebedürftigen auf dem Hinweg und Rückweg und die Wartezeit der Pflegeperson beim Arzt, wenn die Pflegeperson während der Wartezeit keiner anderen sinnvollen Tätigkeit nachgehen kann, die auch ohne Wartezeit zu erledigen wäre.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 11. Januar 2007 und der Bescheid der Beklagten vom 04. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2004 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab dem 01. September 2007 Leistungen nach der Pflegestufe II zu gewähren.

Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zur Hälfte zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Leistungen nach der Pflegestufe II.

Die bei der Beklagten pflegeversicherte Klägerin wurde 1982 geboren. Sie leidet ausgehend von einem frühkindlichen Hirnschaden im Wesentlichen an einer schweren chronischen Epilepsie und einer Intelligenzminderung bei Entwicklungsverzögerung. Der Grad ihrer Behinderung (GdB) beträgt 100 mit den Merkzeichen B, G und H. Die Eltern, beide Diplompädagogen, sind als Betreuer eingesetzt. Die Klägerin kann weder lesen noch schreiben noch rechnen. Die Beklagte gewährt ihr bislang Leistungen nach der Pflegestufe I.

Am 27. Mai 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Höherstufung auf Leistungen der Pflegestufe II. Die Beklagte holte über den Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK) ein Pflegegutachten der Pflegefachkraft B vom 10. September 2003 ein, welche bei der Körperpflege einen Hilfebedarf von 39 Minuten, bei der Ernährung einen Hilfebedarf von sechs Minuten und bei der Mobilität einen Hilfebedarf von neun Minuten täglich sowie einen Zeitaufwand für die hauswirtschaftliche Versorgung von 45 Minuten täglich feststellte. Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 16. September 2003 unter Bezugnahme auf das Pflegegutachten auf die beabsichtigte Ablehnung des Höherstufungsantrags hin. Die Klägerin widersprach den Ausführungen im Pflegegutachten, woraufhin die Beklagte über den MDK das Pflegegutachten der Pflegefachkraft V vom 28. November 2003 einholte, welche bei der Körperpflege einen täglichen Hilfebedarf von 54 Minuten, bei der Ernährung einen täglichen Hilfebedarf von sechs Minuten und bei der Mobilität einen täglichen Hilfebedarf von 17 Minuten sowie einen Zeitaufwand für die hauswirtschaftliche Versorgung von 45 Minuten täglich feststellte. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 4. Dezember 2003 unter Hinweis auf das zuletzt eingeholte Pflegegutachten ab. Die Klägerin erhob am 18. Dezember 2003 Widerspruch, welchen sie dahingehend begründete, dass der Hilfebedarf zunächst bei der Körperpflege höher liege. Zudem sei bislang nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass die Klägerin, welche zu unkontrolliertem und ungehemmtem Essen neigen würde, bei der Ernährung zu langsamem und ordentlichem Essen, Kauen und Schlucken angehalten werden müsse, was bei den drei Hauptmahlzeiten einen weiteren Hilfebedarf von jeweils fünf Minuten mit sich bringe. Ferner sei im Pflegegutachten der Hilfebedarf für Mobilität zu niedrig angesetzt. Insgesamt ergebe sich ein Grundpflegebedarf von 140 Minuten und ein Bedarf an hauswirtschaftlicher Versorgung von 60 Minuten. Die Beklagte wies den Widerspruch nach Einholung und Bezugnahme einer ergänzenden Stellungnahme des MDK vom 27. Mai 2004, auf welche verwiesen und inhaltlich Bezug genommen wird, mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2004 zurück.

Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 8. September 2004 zum Sozialgericht Neuruppin erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie hat auf einen höheren Hilfebedarf bei der Körperpflege verwiesen. Im Zeitpunkt der vorgerichtlichen Begutachtung habe sie ein- bis zweimal wöchentlich nachts eingenässt beziehungsweise eingekotet, was nicht hinreichend berücksichtigt worden sei. Seit Januar 2004 nässe und kote sie - wohl aufgrund einer neuen Medikation - fast jeden Tag und jede Nacht ein. Hierfür sei einmal täglich für einen Bekleidungswechsel ein zeitlicher Aufwand von zehn Minuten und, weil sie seit Januar 2004 zur Nacht gewindelt werde, hierfür ein weiterer zeitlicher Bedarf von vier Minuten täglich anzusetzen. Bislang unberücksichtigt sei das wegen ihrer sehr fettigen Haare regelmäßig notwendige Haare...

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