Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Anforderung an die Sachverhaltsaufklärung im Sozialrechtsstreit um die Ermittlung eines Grades der Behinderung für einen Schwerbeschädigten. Umfang der Amtsermittlungspflicht. Voraussetzung des Erlasses eines Gerichtsbescheides in Verfahren aus dem Bereich des Schwerbehindertenrechts

 

Orientierungssatz

Im sozialgerichtlichen Verfahren über den Umfang einer bestehenden Schwerbehinderung und die Höhe der Zuerkennung eines Grades der Behinderung genügt es nicht der Amtsermittlungspflicht des Sozialgerichts, die Entscheidung nur auf Befundunterlagen der behandelnden Ärzte zu stützen. Vielmehr ist regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Aufklärung des Sachverhalts geboten. Wurde ein solches Gutachten nicht eingeholt, fehlt es regelmäßig an einer Klärung des Sachverhalts und damit insbesondere auch an den Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheides.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. März 2012 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Sozialgericht Berlin zurückverwiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 durch den Beklagten.

Der 1945 geborene Kläger beantragte erstmals am 21. Januar 2009 beim Beklagten die Feststellung eines GdB. Dabei gab er an, an einem beidseitigem chronischem Glaukom, einem Diabetes Typ II, einem Bluthochdruck, einer benignen Prostatahyperplasie, einer Blasenentleerungsstörung, einer Urgeinkontinenz, einer diabetischen Polyneuropathie, einer Hörminderung und einem grauen Star zu leiden. Der Beklagte holte Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 18. Juni 2009 ein, in der folgende Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers beschrieben wurden:

Diabetes mellitus (schwer einstellbar, tablettenpflichtig),

Polyneuropathie

(Einzel-GdB 30)

(geringgradige) Schwerhörigkeit beidseits

(Einzel-GdB 20)

Depression (mit Angstzuständen)

(Einzel-GdB 20)

Funktionsbehinderung der Wirbelsäule,

Bandscheibenschäden

(Einzel-GdB 20)

Funktionsbehinderung des Schultergelenks links

(Einzel-GdB 10)

Prostatavergrößerung

(Einzel-GdB 10)

Bluthochdruck

(Einzel-GdB 10)

Eingepflanzte Kunstlinse rechts

(Einzel-GdB 10)

Der Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 10. September 2009 bei dem Kläger einen GdB von 40 sowie das Bestehen einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest. Aufgrund des gegen den Bescheid vom Kläger eingelegten Widerspruchs ließ der Beklagte den Kläger augenfachärztlich begutachten. Die Augenärztin Dr. T konnte in ihrem Gutachten vom 8. April 2010 nach Untersuchung von Visus und Gesichtsfeld keinen GdB feststellen. Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 9. August 2010 - zugestellt am 12. August 2010 - mit der Begründung zurück, die bei dem Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einem GdB von 40 angemessen bewertet.

Der Kläger hat am 13. September 2010, einem Montag, Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er die Feststellung eines GdB von mindestens 50 ab Antragstellung mit der Begründung geltend gemacht hat, der Beklagte habe insbesondere ein bei ihm bestehendes “Scheuermann-Syndrom„ sowie einen beidseitigen Grünen Star bei der Bewertung nicht berücksichtigt. Entgegen der Ansicht des Beklagten bestünde bei ihm eine Gesichtsfeldeinschränkung. Der Kläger nimmt zur weiteren Begründung Bezug auf ein Attest seines behandelnden Orthopäden Dipl. Med. P vom 1. September 2011 sowie seines behandelnden HNO-Arztes vom 13. Dezember 2011, auf die ebenso verwiesen wird wie auf die nachfolgend genannten Unterlagen. Das Sozialgericht hatte zuvor Befundberichte der den Kläger behandelnden Allgemeinmedizinerin M vom 28. März 2011 und des Allgemeinmediziners S vom 11. August 2011 eingeholt. Der Beklagte hat dazu jeweils versorgungsärztliche Stellungnahmen vorgelegt.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 20. März 2012 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40. Für die Diabetes-Erkrankung des Klägers könne höchstens ein GdB von 20 anerkannt werden, da nach den Angaben der behandelnden Ärzte des Klägers keine Insulinpflicht bestehe und keine täglichen Blutzuckerkontrollen notwendig seien. Auch seien keine Hypoglykämien bekannt. Eine Polyneuropathie sei nicht steigernd, sondern vielmehr gesondert zu bewerten, bestehe jedoch nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht. Weiterhin könne den aktuellen ärztlichen Unterlagen keine psychische Störung des Klägers entnommen werden. Eine solche sei lediglich in einem stationären Entlassungsbericht aus dem Jahre 2004 erwähnt, während eine fachspezifische Behandlung nie stattgefunden habe....

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