Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung der Funktionsbeeinträchtigung Diabetes mellitus im Schwerbehindertenrecht

 

Orientierungssatz

1. Bei der Funktionsbeeinträchtigung des Diabetes mellitus ist der im Einzelfall erforderliche Therapieaufwand von Gesetzes wegen bei der Entscheidung über die Höhe des GdB zwingend mit einzustellen. Die Notwendigkeit seiner Berücksichtigung kann je nach Umfang dazu führen, dass der allein anhand der Einstellungsqualität des Diabetes beurteilte GdB auf den nächsthöheren Zehnergrad festzustellen ist.

2. Die Notwendigkeit, die Blutzuckerwerte zu kontrollieren, sich mehrmals am Tag Insulin zu spritzen und eine bestimmte Diät einzuhalten, trifft regelmäßig Diabetiker unter Insulintherapie und ist für sich allein ungeeignet, einen höheren Einzel-GdB als 30 zu begründen. Dafür ist vielmehr das Ergebnis der therapeutischen Maßnahmen, insbesondere die erreichte Stoffwechsellage, entscheidend.

3. Betreibt der Diabetiker im Rahmen des Therapieaufwandes Ausdauersport und trägt die sportliche Betätigung unmittelbar zu dem Therapieerfolg bei, so wirkt sich dieser Umstand GdB-erhöhend ab einem Aufwand von anderthalb Stunden am Tag aus.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).

Der 1951 geborene Kläger leidet u.a. an einem Diabetes mellitus Typ II, der seit Dezember 2003 insulinpflichtig ist. Er muss vier- bis fünfmal täglich den Blutzuckerspiegel messen und durch Insulininjektionen einstellen. Weiter muss er darauf achten, regelmäßig zu essen und Diät zu halten. Einmal wöchentlich betreibt er zur Vorsorge Nordic Walking.

Den Antrag des Klägers von August 2003 auf Feststellung einer Behinderung lehnte der Beklagte nach versorgungsärztlicher Auswertung der ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen mit Bescheid vom 27. November 2003 mit der Begründung ab, dass keine Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von mindestens 20 vorlägen. Nachdem im Widerspruchsverfahren die Insulintherapie des Klägers bekannt geworden war, setzte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2004 folgende Funktionsbeeinträchtigungen (die verwaltungsintern mit den sich aus den Klammerzusätzen ergebenden Einzel-GdB bewertet wurden) mit einem Gesamt-GdB von 40 fest:

a) Diabetes mellitus (40),

b) Bluthochdruck, (10),

c) Brustwirbelsäulen-Syndrom (10),

d) chronisch-venöse Insuffizienz (10),

e) psychovegetatives Syndrom (10),

f) Knotenstruma (10).

Die auf Zuerkennung eines GdB von mindestens 50 gerichtete Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2006 abgewiesen: Die Bescheide des Beklagten seien rechtmäßig, denn der Kläger habe auf die Feststellung eines GdB in dieser Höhe keinen Anspruch.

Der Diabetes mellitus sei mit einem Einzel-GdB von 40 zutreffend eingeschätzt worden. Maßstab seien die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP), nicht der GdB-Katalog der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) vom 16. November 1994 (abgedruckt in Diabetes und Stoffwechsel, Nr. 7, 1998, S. 60). In dem am 10. September 2004 eingegangenen Befundbericht des Hausarztes P werde eine gute Einstellbarkeit des Diabetes verzeichnet. Die übrigen Funktionsstörungen seien von dem Beklagten zutreffend jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet worden und führten zu keiner Anhebung des Gesamt-GdB über 40.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, dass die in den AHP vorgenommene Unterscheidung zwischen Typ I und Typ II des Diabetes mellitus systemfremd sei. Auch sei zu kritisieren, dass auf die Einstellbarkeit der Erkrankung abgestellt werde.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Mai 2006 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 27. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2004 zu verurteilen, bei ihm ab Dezember 2003 einen GdB von 60, jedoch mindestens von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat mit dem angegriffenen Urteil die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid des Beklagten vom 27. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2004 ist rechtmäßig, da der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von mehr als 40 hat.

Nach §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswir...

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