Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung von Witwenrente bei Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe

 

Orientierungssatz

1. Der Anspruch auf Witwenrente ist nach § 46 Abs. 2a SGB 6 ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

2. Dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung kommt dabei eine gewichtige Bedeutung zu. Ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer Umstand ist insbesondere anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten unvermittelt eingetreten ist. In diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, dem Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen.

3. Erscheint angesichts einer jahrelangen eheähnlichen Lebensgemeinschaft zwischen dem Versicherten und dessen Witwe nachvollziehbar, dass zum Zweck der Legalisierung mit einer Heirat in Verwirklichung der Liebesbeziehung zum Abschluss gebracht werden sollte und wussten weder der Versicherte noch die Witwe bei der Eheschließung um die Lebensbedrohlichkeit der Krebserkrankung des Versicherten, so wiegt dessen Erkrankung bei der Gesamtbewertung nicht derart schwer, dass sie für den Entschluss zur Heirat neben den weiteren Umständen nicht noch als gleichwertig erscheint.

4. Ist zudem glaubhaft, dass beide Ehepartner vom Heilungserfolg einer durchgeführten Chemotherapie überzeugt waren, so gilt die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe als widerlegt.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 9. Januar 2013 geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 13. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2011 verurteilt, der Klägerin große Witwenrente ab 1. Juni 2010 zu gewähren.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten große Witwenrente.

Die im November 1940 geborene unverheiratete Klägerin ist die Witwe des im September 1940 geborenen und am 31. Mai 2010 verstorbenen W B(Versicherter), mit dem sie seit 3. Dezember 2009 verheiratet war.

Der Versicherte bezog seit Januar 2005 Rente mit einem Zahlbetrag zuletzt vor seinem Tod von 772,80 Euro monatlich. Der Zahlbetrag der der Klägerin zum 1. Februar 2001 gewährten Rente betrug zu diesem Zeitpunkt 601,01 Euro monatlich. Der Versicherte und die Klägerin wohnten vom 23. Januar 1990 bis 30. April 1996 in der Bstraße in S, vom 1. Mai 1996 bis 22. November 1997 in der F--Straße 3 in S und vom 22. November 1997 bis 17. Januar 2003 und vom 1. November 2005 bis zum Tod des Versicherten in der RStraße in S. Die Klägerin war vom 17. Januar 2003 bis 31. Oktober 2005 in S wohnhaft.

Im Juni 2010 beantragte die Klägerin große Witwenrente. Sie legte die Epikrise des Universitätsklinikums C vom 14. Januar 2010 vor und gab an, die tödlichen Folgen der Erkrankung seien bei Eheschließung nach ärztlicher Auffassung nicht zu erwarten gewesen. Sie versicherte in der eidesstattlichen Versicherung vom 13. Juli 2010, vor der Eheschließung 20 Jahre lang in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit dem Versicherten zusammengelebt zu haben. Die Beklagte zog weitere ärztliche Unterlagen bei und holte mehrere Meldebescheinigungen ein.

Mit Bescheid vom 13. September 2010 lehnte die Beklagte die Gewährung von Witwenrente ab: Die Klägerin sei mit dem Versicherten nicht mindestens ein Jahr verheiratet gewesen. Der Nachweis, dass die Ehe nicht allein oder überwiegend aus dem Grunde geschlossen worden sei, eine Hinterbliebenenversorgung zu begründen, sei nicht erbracht worden. Nachdem im Juli 2008 ein Nierenbeckenkarzinom am Übergang zum Harnleiter diagnostiziert und operiert worden sei, seien wegen lymphatischer Metastasen in mehreren Körperbereichen ab November 2009 mehrere Chemotherapiezyklen erforderlich gewesen, ohne dass diese den Krankheitsverlauf hätten wesentlich beeinflussen können. Zum Zeitpunkt der Eheschließung am 3. Dezember 2009 habe der Klägerin auch in der Laienwahrnehmung klargewesen sein müssen, dass bei einem metastasierten Tumorleiden die Überlebensaussichten des Versicherten drastisch verschlechtert seien.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, mit dem Versicherten seit 20 Jahren in einem gemeinsamen Haushalt zusammengelebt und in der Bäckerei des Versicherten, die immer im Vordergrund gestanden habe, zusammengearbeitet zu haben. Die Ehe habe sie geschlossen, nicht um vorsätzlich eine Witwenrente zu erhalten, sondern um damit den sehnlichsten Wunsch des Versicherten zu erfüllen. Es sei schon 2008 die Eheschließung geplant gewesen. Wegen der erfolgten Operation der Niere habe man jedoch warten wollen, bis...

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