Entscheidungsstichwort (Thema)

Häftlingshilfegesetz. Beschädigtenversorgung. in der ehemaligen DDR erlittene rechtsstaatswidrige Haft. Heimerziehung im Jugendwerkhof. psychisches Trauma. Sachverständiger nach § 109 SGG. Benennung eines Diplom-Psychologen. Verwertungsverbot

 

Leitsatz (amtlich)

1. Kann die in der ehemaligen DDR erlittene rechtsstaatswidrige Haft als wesentliche Ursache einer psychischen Störung festgestellt werden, bedarf es keiner Abgrenzung zu den Folgen einer Heimerziehung im Jugendwerkhof.

2. Der Kläger darf einem Diplom-Psychologen als Sachverständigen nach § 109 Sozialgerichtsgesetz benennen.

3. Holt das Landessozialgericht ein solches Gutachten ein, weil es auch im Rahmen der Amtsermittlung hierzu berechtigt wäre (§ 118 SGG iVm § 404 ZPO), folgt aus § 109 SGG kein Verwertungsverbot.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 04. September 2006 aufgehoben und der Bescheid des Beklagten vom 06. Juli 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2005 abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger aufgrund der Folgen der in der Zeit vom 03. August 1968 bis 03. Dezember 1969 in der ehemaligen DDR rechtsstaatswidrig erlittenen Haft ab 1. Juni 2002 Versorgung unter Zugrundelegung eines Grades der Schädigungsfolgen von 50 v. H. zu gewähren.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Versorgung nach dem Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden (Häftlingshilfegesetz - HHG -) i. V. m. dem Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz - BVG - ).

Der 1950 geborene Kläger hat in der ehemaligen DDR etwa bis zu seinem 8. Lebensjahr bei seiner Mutter gelebt, der jedoch dann das Sorgerecht entzogen wurde und die er nach deren (erneuter)Republikflucht in den Westen Deutschlands am 07. Juni 1960 zunächst nicht mehr gesehen hat. In der Folgezeit hat der Kläger teilweise bei seiner Stief-Großmutter und immer wieder in verschiedenen Heimen gelebt, so etwa ab dem 02. November 1963 im Spezialkinderheim S und später im Jugendwerkhof F. Nach der Heimentlassung 1968 und aus Anlass der Wehrerfassung, bei welcher sich der Kläger bedroht fühlte, versuchte er über die Tschechoslowakei zu fliehen, wobei er am 03. August 1968 an der Grenze aufgegriffen wurde. Bis zu seiner Auslieferung nach Westberlin am 03. Dezember 1969 war er daraufhin in verschiedenen Gefängnissen in der ehemaligen DDR inhaftiert. Mit Bescheinigung des Senators für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 25. Januar 1971 nach § 10 Abs. 4 HHG wurde dem Kläger bestätigt, dass es sich hierbei um politischen Gewahrsam im Sinne des § 1 Abs. 1 und 4 HHG gehandelt habe.

Mit einem am 21. Juni 2002 beim Beklagten eingegangenen Antrag machte der Kläger einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem HHG wegen seiner Inhaftierung in der Zeit vom 03. August 1968 bis 03. Dezember 1969 geltend. Im Antrag führte er aus, neben jeglicher Art von Psychoterror während der Haft - hier habe er u. a. neun Monate Einzelhaft erdulden müssen - auch Belastungen in den Heimen in Form von Kinder-Schwerstarbeit ausgesetzt gewesen zu sein. Der Beklagte versuchte, die den Kläger betreffenden Vollzugsakten beizuziehen; diesbezüglich übersandte letztlich das Bundesarchiv Kopien der Karteikarten aus der Zentralen Gefangenenkartei des Ministeriums des Innern der ehemaligen DDR, weitere Unterlagen die Haftzeit betreffend konnten nicht gefunden werden. Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR teilte mit Schreiben vom 09. Mai 2003 mit, dass sich aus den ihr vorliegenden Unterlagen keine Hinweise auf eine Zusammenarbeit des Klägers mit dem Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR ergeben haben. Der Beklagte ermittelte ferner medizinisch durch Einholung von Befundberichten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. J vom 14. September 2002 und des psychologischen Psychotherapeuten Dipl.-Psych. W vom 03. Oktober 2002. Der Kläger übersandte verschiedene Arztbriefe mit Untersuchungsergebnissen, insbesondere über die Behandlung seiner Wirbelsäulenerkrankung, sowie Bescheide und Kurzgutachten für die ehemalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) aus Anlass eines Antrages auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Der Beklagte zog ferner einen Reha-Entlassungsbericht der H-Klinik I über einen zu Lasten der ehemaligen Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin durchgeführten stationären Aufenthalt vom 21. Juni bis 09. August 2005 bei. Die Kliniken im T-Werk übersandten einen Entlassungsbericht über die in der Zeit vom 04. bis 16. April 2002 durchgeführte stationäre Behandlung. Weiter holte der Beklagte ein Gutachten des Arztes für Chirurgie Dr. O vom 15. Januar/2. Februar 2004 ein, der ausführte, dass bezüglich der beim Kläge...

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