Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeldanspruch. Auszahlungsanspruch. Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers für die Grundsicherung für Arbeitsuchende gegenüber der BA. Ausschluss. Berechnung der Erstattungsforderung. Zeitidentität. monateweise Gegenüberstellung

 

Orientierungssatz

1. Der Erstattungsanspruch nach § 104 Abs 1 S 3 SGB 10 ist nicht schon dann ausgeschlossen, wenn der nachrangige Leistungsträger in irgendeiner Form zur Leistung verpflichtet bleibt, sondern nur soweit dies der Fall ist. Daher ist der Erstattungsanspruch nur dann ausgeschlossen, wenn und soweit der Anspruch gegen den nachrangig verpflichteten Leistungsträger den Anspruch gegen den vorrangig verpflichteten übersteigt.

2. Für die Berechnung des Erstattungsanspruchs des nachrangig verpflichteten Grundsicherungsträgers gegenüber der Agentur für Arbeit (Arbeitslosengeldanspruch des Leistungsempfängers) im Verfahren nach § 104 SGB 10 ist eine zeitliche Kongruenz der Leistungen erforderlich und somit keine kalendertägliche sondern eine monateweise Gegenüberstellung vorzunehmen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.11.2022; Aktenzeichen B 11 AL 12/21 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 7. März 2017 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob ein Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 11. bis 30. Juni 2015 infolge eines Erstattungsanspruchs des beigeladenen Jobcenters gegen die Beklagte als erfüllt gilt.

Der 1989 geborene Kläger absolvierte vom 3. September 2013 bis zum 10. Juni 2015 eine Ausbildung zum Fachlageristen. Das beigeladene Jobcenter bewilligte ihm für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) i.H.v. 378,39 € monatlich und berücksichtigte hierbei als Einkommen die Ausbildungsvergütung des Klägers i.H.v. 185,44 € (331,80 € brutto abzüglich von Freibeträgen) monatlich (Bescheid vom 18. Dezember 2014). Abweichend hiervon bewilligte es ihm mit Bescheid vom 10. Juli 2015 für Juni 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. 555,35 € und berücksichtigte als Einkommen des Klägers nur noch einen Betrag von 8,48 € (110,60 € brutto abzüglich von Freibeträgen). Wegen der Einzelheiten der Leistungsberechnung wird auf Bl. 18 der Gerichtsakte verwiesen.

Nachdem sich der Kläger am 3. September 2013 arbeitssuchend und am 27. April 2015 mit Wirkung zum 11. Juni 2015 arbeitslos gemeldet hatte, bewilligte ihm die Beklagte auf der Grundlage einer fiktiven Bemessung (§ 152 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III) Arbeitslosengeld für die Zeit vom 11. Juni 2015 bis zum 10. April 2016 (300 Kalendertage) mit einem täglichen Leistungsbetrag von 26,38 € ab dem 1. August 2015 (Bescheid vom 1. Juli 2015). Für die Zeit vom 11. Juni bis 31. Juli 2015 setzte sie zugleich den täglichen Leistungsbetrag auf 0 € fest und teilte dem Kläger mit, dass sein Anspruch für diesen Zeitraum um 50 Tage gemindert werde („vorläufiger Erstattungsanspruch eines Leistungsträgers“).

Mit Schreiben vom 10. Juli 2015 machte der Beigeladene gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch nach § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.H.v. 527,60 € geltend, weil er „Leistungen vom 11.06.2015 bis 11.06.2015 in Höhe von 527,60 Euro“ bzw. vom 11. bis 30. Juni 2015 i.H.v. 555,35 € gezahlt habe und seine Leistungsverpflichtung durch die Leistungsgewährung der Beklagten teilweise entfallen sei. Die Beklagte erkannte diesen Erstattungsanspruch in der angemeldeten Höhe von (20 Kalendertage (11. bis 30.- Juni) x 26,38 € =) 527,60 € an (Schreiben vom 16. Juli 2015) und teilte dem Kläger mit Bescheid vom selben Tag mit, dass er für die Zeit vom 11. bis 30. Juni 2015 im Hinblick auf die Zahlung von Arbeitslosengeld II und einen „Erstattungsanspruch eines anderen Leistungsträgers“ keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr habe. Mit weiterem „Änderungsbescheid“ vom 16. Juli 2015 setzte die Beklagte für den (gesamten) Zeitraum vom 11. Juni 2015 bis 10. April 2016 den täglichen Leistungsbetrag auf 26,38 € fest und wies darauf hin, dass für die Zeit vom 11. bis 30. Juni 2015 „dem Berechtigten“ (Beigeladener) 527,60 € ausgezahlt worden seien.

Die auf die Auszahlung von Arbeitslosengeld für Juni 2015 gestützten Widersprüche des Klägers gegen die beiden Bescheide vom 16. Juli 2015 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2015 zurück und führte zur Begründung aus: Soweit ein Anspruch auf Arbeitslosengeld I aufgrund der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen festgestellt und zuvor bereits dem Berechtigten ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II zuerkannt worden sei, sei der Anspruch auf Arbeitslosengeld I vorrangig. Es sei ein Erstattungsverfahren durchzuführen. Indem sie die Erstattungsforderung des Beigeladenen befriedigt habe, gelte nach §...

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