Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bestimmtheit von Aufhebungs- und Rückforderungsbescheiden. Bedarfsgemeinschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach § 33 Abs 1 SGB 10 muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein, was insbesondere den Adressaten und den Verfügungssatz betrifft. Zur hinreichenden Bestimmtheit muss eine behördliche Entscheidung so eindeutig formuliert sein, dass sich ohne Rückfrage ergibt, für wen was wie geregelt wird.

2. Ob hinreichend konkrete Verfügungen vorliegen, ist durch Auslegung zu ermitteln. Maßstab für die Auslegung des Verwaltungsaktes ist die Sicht eines verständigen Empfängers, der als Beteiligter die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen in ihre Entscheidung einbezogen hat, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen (vgl BSG vom 14.8.1996 - 13 RJ 9/95 = SozR 3-1200 § 42 Nr 6).

3. Sowohl die Rücknahme eines rechtswidrigen Bewilligungsbescheides als auch die Rückforderung erbrachter Grundsicherungsleistungen können nur gegenüber dem jeweiligen Leistungsempfänger und damit nur gegenüber jedem einzelnen hilfebedürftigen Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft erklärt werden. Das Rückabwicklungsverhältnis von Leistungen, die Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zu Unrecht gewährt wurden, ist das “Spiegelbild„ des Leistungsverhältnisses.

4. Es bestehen grundsätzliche Bedenken, eine pauschale Gesamtaufhebung iS einer geltungserhaltenden Reduktion in dem jeweils rechnerisch und materiell zutreffenden Umfang hinsichtlich des oder der Adressaten bestehen zu lassen. Die komplexe gesetzliche Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft mit den leistungs- und einkommensmäßigen Zuordnungen der Einzelansprüche verbietet es nach Überzeugung des Senats, aus einer möglicherweise zutreffenden Gesamtsumme auf eine materiell richtige Einzelaufhebung gegenüber dem Adressaten zu schließen. Globale Gesamtaufhebungen auch gegenüber einem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ohne konkrete Verfügungen im jeweiligen Leistungsverhältnis sind mangels Bestimmtheit in Gänze und nicht nur in ihrem überschießenden - die anderen Mitglieder betreffenden - Teil aufzuheben (aA LSG Schleswig vom 13.11.2008 - L 6 AS 16/07).

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger zu 1), 2), 4) und 5) wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 2006 geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 21. Juli 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2006, dieser in der Fassung des Bescheides vom 2. Mai 2008, wird hinsichtlich der Kläger zu 1), 2), 4) und 5) aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung der Kläger zu 1), 2), 4) und 5) zurückgewiesen.

Die Berufung der Klägerin zu 3) gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 2006 wird verworfen.

Der Beklagte hat den Klägern die vollen außergerichtlichen Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide des Beklagten bezüglich des Leistungszeitraumes Mai und Juni 2005.

Der 1968 geborene Kläger zu 1) ist mit der 1965 geborenen Klägerin zu 3) verheiratet. Sie wohnen mit ihren 2001 (Klägerin zu 2)) und 2003 (Klägerin zu 4) und Klägerin zu 5)) geborenen Kindern zusammen. Der Kläger zu 1) war seit 2004 selbstständig (Verkauf von orientalischem Kunsthandwerk, Antiquitäten, Geschenkartikeln und ähnlichem) und erwirtschaftete jedenfalls im Jahr 2005 keine Gewinne. Die Klägerin zu 3) war zunächst in Elternzeit und erzielte kein Einkommen. Bei der Beantragung von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) beim Beklagten im September 2004 gab die Klägerin zu 3) unter Hinweis auf eine Bescheinigung ihres Arbeitgebers an, dass sie zunächst bis März 2005 in Elternzeit und ab April 2005 in Teilzeit beschäftigt sein werde.

Der Beklagte bewilligte den Klägern mit Bescheid vom 29. November 2004 Leistungen für die Zeit vom 01. Januar bis 30. Juni 2005 in Höhe von monatlich 1.292,66 €. Darin waren zunächst Leistungen für die Kosten der Unterkunft in Höhe von 511,66 € enthalten. Der monatliche Leistungsbetrag setzte sich zusammen aus Ansprüchen des Klägers zu 1) in Höhe von 304,52 € (Regelsatz von 311,00 € abzüglich Einkommensanrechnung von 108,82 € = 202,18 zuzüglich anteiliger Kosten für die Unterkunft [KdU] von 102,34 €), der Klägerin zu 3) in Höhe von 304,50 € (Regelsatz von 311,00 € abzüglich Einkommensanrechnung von 108,83 € = 202,17 zuzüglich anteiliger KdU von 102,33 €) und den Ansprüchen der minderjährigen Klägerinnen zu 2), 4) und 5) in Höhe von je 227,88 (Sozialgeld von 207,00 € abzüglich Einkommensanrechnung von 81,54 € = 125,55 € zuzüglich anteiliger KdU von 102,33 €). Die Einkommensanrechnung resultierte daraus, dass das Kindergeld in Höhe von monatlich 462,00 € als Einkommen der Klägerin zu 3) bewertet und anteilig entsprechend dem Verhältnis des individuellen Bedarfs zum Gesamtbedarf verteilt wurde.

Anfang März teilte die Klägerin zu 3) dem Beklagten mit, dass sie voraussichtlich ab Mai b...

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