Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung eines epileptischen Anfallsleidens, einer Hirnschädigung und psychischer Störungen im Schwerbehindertenrecht

 

Orientierungssatz

1. Epileptische Anfälle, die sehr selten auftreten, sind mit einem GdB von 40 zu bewerten. Nach dreijähriger Anfallsfreiheit bei weiterer Notwendigkeit antikonvulsiver Behandlung ist der GdB mit 30 zu bewerten. Ein Anfallsleiden gilt dann als abgeklungen, wenn ohne Medikation drei Jahre Anfallsfreiheit besteht. Ohne nachgewiesenen Hirnschaden ist dann kein GdB mehr anzunehmen.

2. Ein Hirnschaden mit geringer Leistungsbeeinträchtigung ist mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Kognitive und psychische Störungen lediglich leichter Ausprägung führen zu keiner höheren Bewertung.

3. Für leichtere psychische und psychovegetative Störungen gilt bei isolierter Bewertung ohne Berücksichtigung von Hirnschäden ein GdB von 20 als angemessen.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch nicht für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung seines Grades der Behinderung (GdB) von 60 auf 40.

Zugunsten des 1980 geborenen Klägers hatte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2003 mit Wirkung vom 7. Februar 2001 einen GdB von 60 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt:

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Anfallsleiden (Einzel-GdB: 40),

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Beeinträchtigung der Gehirnfunktion (Einzel-GdB: 30),

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Funktionsbehinderung des Hüftgelenkes links, Teillähmung des Nervus fibularis links (Einzel-GdB: 20),

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Gebrauchseinschränkung des Armes links (Einzel-GdB: 20).

Hintergrund der Funktionsbeeinträchtigungen waren Gesundheitsstörungen, die der Kläger infolge eines Autounfalls am 7. Februar 2001 erlitten hatte. Nach stationären Behandlungen im Krankenhaus L und im Klinikum N war er am 26. Februar 2001 in das Unfallkrankenhaus verlegt worden, wo er bis zum 1. April 2001 stationär behandelt worden war. Vom 2. April bis 20. Juli 2001 absolvierte der Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Rehaklinik K.

Ausweislich eines Arztbriefes des Unfallkrankenhauses vom 28. März 2001 wurde ein Polytrauma mit folgendem Verletzungsmuster diagnostiziert:

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schweres Schädelhirntrauma mit Kontusionsblutungen re.-occ., zerebellär bds., infratentoriellem Hirnödem, regredientem mäßigen aspontan-anamnestischen Psychosyndrom bei Hirnstammkontusion und symptomatischem Anfallsleiden;

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Mittelgesichtsfraktur;

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Beckenringfraktur, Beckenschaufelmehrfragmentfraktur links, ISG-Fugensprengung li., Acetabulumfraktur re., vordere Beckenringfraktur re.;

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traumatische Läsion des Plexus lumbosacralis li.;

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transkonduläre Humerusfraktur li.;

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traumatische Läsion des N. ulnaris li.;

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Bauchtrauma mit Mesenterialabriss, Zwerchfellruptur, Milzruptur;

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Hämatopneumothorax li.;

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Knietorsion mit traumatischer Öffnung der Bursa präpatellaris li.;

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OSG-Distorsion li.

Der Kläger wurde ausweislich des genannten Arztbriefes mehrfach operiert. Im Einzelnen erfolgten

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eine Laparotomie, eine Milzextirpation, eine Zwerchfell- und Mesenterialübernähung, eine Anlage eines Fixateur externa;

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eine percutane Tracheoburgierung;

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eine offene Reposition Beckenfraktur mit Plattenosteosynthese, offene Reposition des Humerus, Mehrfragmentfraktur;

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operative Versorgung des Jochbeinbogens li.;

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geschlossene Reposition der Ellenbogenluxation links, Transfixation in 110° mit einem Fixateur extern.

Bezogen auf das Anfallsleiden wurde in dem Arztbrief erklärt, am 20. März 2001 seien zwei generalisierte Krampfanfälle aufgetreten, woraufhin der Kläger mit Carbamazepin eingestellt worden sei. Kontroll-EEG‚s hätten eine Besserung des direkt nach dem Krampfanfall erhobenen Befundes dokumentiert; eine CCT-Kontrolle habe keine neuen Aspekte ergeben.

Die mit dem Fall befasste Versorgungsärztin Dr. F erachtete in Bezug auf das Anfallsleiden eine Nachprüfung im März 2004 für notwendig.

Der Beklagte leitete im März 2004 ein Nachprüfungsverfahren ein. Er ging insbesondere nach Auswertung einer ärztlichen Auskunft der Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie Dr. W und S vom 23. April 2004 von keiner wesentlichen Verbesserung des Gesundheitszustandes aus. Die genannten Ärzte hatten bestätigt, dass es seit Erstvorstellung bei ihnen zu keinen Anfällen mehr gekommen sei. Mit Teputal fühle sich der Kläger aber sicherer als ohne Medikation. Hiervon ausgehend kam die Versorgungsärztin Dr. F zu dem Schluss, der Einzel-GdB wegen des Anfallsleidens betrage nur noch 30, der Gesamt-GdB sei aber weiter mit 60 zu bewerten. Mit Schreiben an den Kläger vom 29. Juni 2004 teilte der Beklagte das wesentliche Ergebnis seiner Nachprüfung und seine Absicht mit, eine erneute Nachprüfung im April 2007 vorzunehmen.

Im April 2007 leitete der Beklagte eine Nachprüfung des GdB von Amts wegen ein. Grundlage für seine Beurteilung waren ärztliche Auskünfte der Ärztin ...

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