Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Altfall. Verzögerungsrüge. Unverzüglichkeit. Monatsfrist. angemessene Verfahrensdauer. allgemeiner Wertungsrahmen. Pensionierung des Kammervorsitzenden. Kammerwechsel. unvorhergesehene Erkrankung der neuen Kammervorsitzenden. monatsweise Entschädigung. sozialgerichtliches Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Im Falle der anwaltlichen Vertretung im Ausgangsverfahren ist eine Verzögerungsrüge nur dann als unverzüglich iS des Art 23 GRüGV (juris: ÜberlVfRSchG) erhoben anzusehen, wenn sie innerhalb eines Monats ab Inkrafttreten des Gesetzes bei Gericht eingeht.

Eine auf Pensionierung eines Richters und einen damit einhergehenden Kammerwechsel zurückzuführende Verfahrensverzögerung muss sich das beklagte Bundesland zurechnen lassen.

Eine auf eine Erkrankung eines Richters zurückzuführende Verfahrensverzögerung ist dem beklagten Bundesland nicht anzulasten, solange nicht unverzügliche Gegenmaßnahmen geboten wären.

Aus dem in § 198 Abs 2 S 3 GVG vorgegebenen Richtwert folgt, dass sich für jeden Monat der Verzögerung eine Entschädigung in Höhe von 100,00 Euro errechnet.

Im Entschädigungsverfahren vor dem Landessozialgericht ist keine vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils auszusprechen.

 

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 60 AL 4877/09 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 900,00 € zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu drei Viertel, die Klägerin zu ein Viertel zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 1.200,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer des zuletzt unter dem Aktenzeichen S 60 AL 4877/09 vor dem Sozialgericht Berlin geführten Verfahrens.

Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Nachdem der Klägerin zunächst ab dem 15. Juni 2008 bis zum 14. März 2009 ein Gründungszuschuss (1. Phase) in Höhe von monatlich 1.894,20 € und für die Zeit vom 06. April bis zum 14. September 2009 (2. Phase) in Höhe von monatlich 300,00 € gewährt worden war, hob die Bundesagentur für Arbeit die Gewährung mit Bescheiden vom 01. Juli 2009 - teilweise in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27. Oktober 2009 -, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2009 zum einen mit Wirkung ab dem 18. Januar 2009, zum anderen für die Zeit ab dem 26. Juni 2009 mit der Begründung, die für die Gewährung des Gründungszuschusses erforderliche Selbständigkeit werde wegen Arbeitsunfähigkeit nicht mehr ausgeübt, ganz auf. Weiter hob sie mit Bescheid vom 27. August 2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16. November 2009, dieser in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2009 die zuvor erfolgte Bewilligung der freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung mit Wirkung ab dem 18. Januar 2009 auf.

Am 24. November 2009 erhob die bereits damals durch ihren jetzigen Bevollmächtigten vertretene Klägerin vor dem Sozialgericht Berlin Klage und begehrte zunächst die Aufhebung der Bescheide vom 01. Juli 2009 in ihren letzten Fassungen und beschränkte sich auf eine knappe Begründung. Das Verfahren wurde zunächst unter dem Aktenzeichen S 64 AL 4877/09 registriert. Am 21. Dezember 2009 erweiterte sie die Klage und beantragte nunmehr auch die Aufhebung des Bescheides vom 27. August 2009 in seiner letzten Gestalt. Weiter begehrte sie die Verpflichtung der Bundesagentur, den Gründungszuschuss für die Zeit vom 21. Januar bis zum 01. April 2009 sowie ab dem 26. Juni 2009 ruhend zu stellen und ihr für die Zeit vom 02. April 2009 bis zum 23. Mai 2009 den vollen Gründungszuschuss (1. Phase) sowie für den Zeitraum vom 24. Mai bis zum 26. Juni 2009 den weiterbewilligten Zuschuss (2. Phase) zu gewähren. Ferner beantragte sie festzustellen, dass sie einen Restanspruch auf den Gründungszuschuss in der Weiterbewilligungsphase (2. Phase) für 146 Tage habe. Schließlich erfolgte nunmehr eine ausführliche Klagebegründung.

Am 19. Januar 2010 ging bei Gericht die Klageerwiderung ein, die dem Bevollmächtigten der Klägerin durch die nunmehr zuständige 62. Kammer zur Stellungnahme übersandt wurde. Mit am 28. Januar 2010 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage verwies dieser darauf, dass die Klageerwiderung keine Veranlassung zu weiterem Vortrag biete. Die Rechtsfrage, ob eine Erkrankung zu einer Aufgabe einer selbständigen Tätigkeit im Rechtssinne führe, habe das Gericht zu entscheiden.

Nachdem die Sache bereits ab März 2010 als entscheidungsreif angesehen worden war, terminierte der damalige Vorsitzende den Rechtsstreit am 20. April 2011 auf den 08. Juni 2011. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung äußerte sich die Klägerin bei dieser Gelegenheit ausführlich zu ihren Arbeitsunfähigkeitszeiten und zu den in dieser Zeit von ihrer Krankenversicherung erhaltenen Leistungen. Der Rechtsstreit wurde vert...

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