Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Kostenfestsetzungsbeschluss. Veranlassungsprinzip. Vollstreckungsankündigung

 

Orientierungssatz

1. Endet ein Rechtsstreit ohne Urteil, so ist durch Beschluss über die außergerichtlichen Kosten nicht nur nach der Erfolgsaussicht der erhobenen Klage, sondern auch unter Veranlassungsgesichtspunkten zu entscheiden.

2. Hat eine Behörde dem Betroffenen die Vollstreckung aus einem von ihr inzwischen aufgehobenen Bescheid zu Unrecht angekündigt, so ist es gerechtfertigt, ihr die Kosten aufzuerlegen, die dem Kläger durch dessen berechtigte Unsicherheit wegen der angekündigten Vollstreckung entstanden sind.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. Januar 2007 wird geändert.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), der das Sozialgericht (SG) Berlin nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.

Endet der Rechtsstreit - wie hier - ohne Urteil, hat das Gericht auf Antrag durch Beschluss zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben (§ 193 Abs. 1 SGG). Diese Entscheidung ist nach sachgemäßem Ermessen zu treffen, wobei ungeachtet der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens die Erfolgsaussichten der Klage angemessen zu berücksichtigen sind. Allerdings ist der Erfolgsgesichtspunkt nicht der allein entscheidende und es sind im Einzelfall als Korrektiv durchaus auch Veranlassungsgesichtspunkte (also Gründe für die Führung und die Erledigung des Rechtsstreits) zu berücksichtigen. Nach diesen Grundsätzen entspricht es der Billigkeit, wenn die Beklagte aus Veranlassungsgesichtspunkten die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt.

Die Beklagte hat für die Vollstreckung ihrer Geldforderung aus dem Bescheid vom 29. Dezember 2005, die Ausgangspunkt der vorliegenden Klage ist, in Anwendung des § 66 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Vollstreckung nach dem Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (VwVG) gewählt und sowohl wegen der Rückforderung von Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Sozialgeld als auch der Rückforderung wegen Kosten für Unterkunft und Heizung die Vollstreckung durch das Hauptzollamt Potsdam eingeleitet. Es ist schon fraglich, ob dies zulässig war. Denn die beklagte Arbeitsgemeinschaft selbst ist jedenfalls keine Behörde des Bundes im Sinne des § 66 Abs. 1 SGB X, auch wenn die Wahrnehmung der Aufgaben nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) auf sie übertragen ist (§ 44b Abs. 3 SGB II) und daraus die Behördeneigenschaft im Sinne der §§ 8 ff SGB X folgt. Kommt damit aber (neben der Vollstreckung des Verwaltungsaktes durch Zwangsvollstreckung in entsprechender Anwendung der Zivilprozessordnung, § 66 Abs. 4 SGB X) die Vollstreckung nach § 66 Abs. 3 SGB X in Verbindung mit dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Brandenburg (VwVGBbg) in Betracht, wäre das Hauptzollamt Potsdam nicht zuständige Vollstreckungsbehörde.

Abschließend brauchte die Frage, ob die Hauptzollämter als Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung zumindest für die Vollstreckung der Rückforderung von Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Sozialgeld (mit Blick auf die Trägerschaft der Bundesagentur für Arbeit insoweit) zuständig sind, nicht entschieden zu werden. Für die Übernahme der Kosten aus Veranlassungsgesichtspunkten sprechen auch die übrigen Umstände. Allerdings war für den Kläger ohne weiteres, nämlich aus der geforderten Summe und am genannten Fälligkeitszeitpunkt erkennbar, dass eine Vollstreckung aus dem Bescheid vom 29. Dezember 2005 erfolgen sollte und es sich bei dem angegebenen Datum (28. Dezember 2005) ersichtlich um einen Übertragungsfehler gehandelt hat. Die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 29. Dezember 2005 hätte am 30. März 2006 aber nicht mehr angekündigt werden dürfen, denn den Bescheid vom 29. Dezember 2006 hatte die Beklagte am 1. Februar 2006 aufgehoben. Die Annahme des SG, der Bescheid vom 29. Dezember 2005 sei durch den Bescheid vom 1. Februar 2006 (der in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2006 Gegenstand des seit dem 3. April 2006 mittlerweile beim SG Berlin anhängigen Klageverfahrens S 55 AS 4609/06 ist) ersetzt worden, die Vollstreckung sei aus diesem Bescheid erfolgt und später - im Hinblick auf die aufschiebende Wirkung der Klage - für den Kläger erkennbar ausgesetzt worden, geht fehl. Dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 29. Dezember 2005 ist ausdrücklich mit Schreiben vom 1. Februar 2006 abgeholfen worden und getrennt davon ein neuer Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ergangen. Abhilfebescheide ersetzen vorausgehende Bescheide nicht, sondern erledigen das Widerspruchsverfahren. Dies hat die Beklagte dem Kl...

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