Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwartschaftszeit für den Bezug von Arbeitslosengeld. Versicherungs- und Beschäftigungszeiten im europäischen Ausland

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der zuständige Träger eines Mitgliedsstaates berücksichtigt bei der Anwartschaftszeit für Arbeitslosengeld die Versicherungs- und Beschäftigungszeiten, die als Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaates zurückgelegt worden sind, als handele es sich um Versicherungszeiten, die nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind, wenn die betreffende Person unmittelbar zuvor Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt hat, nach denen die Leistungen beantragt worden sind.

2. Es kommt bei der Beurteilung der Anwartschaftszeiten darauf an, dass für den Leistungsempfänger vor Antragstellung bereits das deutsche Sozialrecht gegolten hat.

 

Normenkette

EWGVO 1408/71 Art. 67; SGB III §§ 123-124, 117 Abs. 1 Nr. 3

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 9. Oktober 2001 bis 13. Januar 2002, insbesondere darüber, ob die Anwartschaftszeit durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen in Frankreich erfüllt ist.

Die Klägerin war bis Ende Februar 1999 sozialversicherungspflichtig im V Klinikum in Berlin beschäftigt. Anschließend begab sie sich nach Frankreich und war dort von März 1999 bis Ende September 2001 bei verschiedenen Arbeitgebern sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Im Durchschnitt verdiente sie etwa 1.500,– Euro.

Nach Beendigung der letzten Beschäftigung reiste sie in die Bundesrepublik Deutschland ein, meldete sich mit Wirkung vom 9. Oktober 2001 arbeitslos und beantragte Leistungen. Mit Bescheid vom 10. Oktober 2001 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil die Anwartschaftszeit nicht erfüllt sei. Die Klägerin habe innerhalb der Rahmenfrist von drei Jahren vor dem 9. Oktober 2001 nicht mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden.

Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, ihre in Frankreich zurückgelegten Beschäftigungszeiten müssten von der Beklagten berücksichtigt werden. Von der französischen Arbeitsverwaltung könne sie Leistungen nicht erhalten, da sie in Berlin wohne und daher dem französischen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe. Nach Anfrage beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung wurde ihr von dort mit Schreiben vom 22. Januar 2002 bestätigt, dass es wenig aussichtsreich sei, auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung für die Zeit nach der Rückkehr nach Deutschland zu bestehen. Der arbeitsmarktpolitische Grund für die insoweit restriktiven Regelungen der VO (EWG) Nr. 1408/71 sei darin zu sehen, dass der Bezug von Leistungen bei Arbeitslosigkeit besondere Anstrengungen des Arbeitssuchenden voraussetze und der Gemeinschaftsgesetzgeber deshalb jedem Mitgliedsstaat zunächst das Recht habe einräumen wollen, sich selbst um die berufliche Wiedereingliederung zu bemühen, bevor der Arbeitslose den Versuch unternehme, auf dem Arbeitsmarkt eines anderen Mitgliedsstaates eine Arbeit zu finden. Da die Klägerin aus eigenem Bemühen ab dem 14. Januar 2002 wieder eine Arbeitsstelle gefunden habe, räume die VO (EWG) Nr. 1408/71 ihr bei erneuter Arbeitslosigkeit ein Recht auf Berücksichtigung der französischen Vorversicherungszeit ein, falls die deutschen Versicherungszeiten für einen Anspruchserwerb nicht ausreichten. Dem Widerspruch blieb mit zurückweisendem Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2002 der Erfolg versagt.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 14. Juli 2003 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein Anspruch bestehe mangels Erfüllung der Anwartschaftszeit nicht. Gemäß § 117 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch/Drittes Buch (SGB III) bestehe ein Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld nur dann, wenn die Anwartschaftszeit erfüllt sei. Die Anwartschaftszeit erfülle, wer in der Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe (§ 123 Satz 1 Nr. 1 SGB III). Die Rahmenfrist betrage drei Jahre und beginne mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 124 Abs. 1 SGB III). Maßgeblich sei somit der Zeitraum vor der Arbeitslosmeldung am 9. Oktober 2001. Da deutsche Beschäftigungszeiten in dieser Rahmenfrist nicht in ausreichendem Umfang vorlägen und die französischen Zeiten nicht berücksichtigt werden könnten, bestehe kein Anspruch. Gemäß Artikel 67 Abs. 1 der VO (EWG) Nr. 1408/71 berücksichtige der zuständige Träger eines Mitgliedsstaates die Versicherungs- und Beschäftigungszeiten, die als Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaates zurückgelegt worden seien, als handele es sich um Versicherungszeiten, die nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden seien. Diese Zusammenrechnung der...

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