Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Feststellungsberechtigung eines Arbeitsunfalls gem § 109 SGB 7: Gesamtschuldner und Haftpflichtversicherer. etwaiges Haftungsprivileg. Antrag beim Unfallversicherungsträger anstelle des Versicherten. alternativ: wirksame Hinzuziehung als Beteiligte bis zum Ende des Widerspruchsverfahrens. keine Wie-Beschäftigung: Pannenhilfe unter Bekannten, Freunden, Verwandten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die vom Unfallgeschädigten als Gesamtschuldner in Anspruch genommenen Schädiger und deren Haftpflichtversicherung können unter Berufung auf das Haftungsprivileg nach § 109 SGB VII gegen den Unfallversicherungsträger die Feststellung eines Arbeitsunfalls im Klageweg betreiben, wenn sie anstelle des Verletzten die Entscheidung des Unfallversicherungsträgers beantragt haben oder vom Versicherungsträger im Verfahren als Beteiligte hinzugezogen worden sind. Die Hinzuziehung ist wirksam bis zum Ende des Widerspruchsverfahrens möglich (Anschluss und Fortführung zu BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 27/10 = BSGE 109, 285 = SozR 4-2700 § 109 Nr 1).

2. Pannenhilfe durch Abschleppen ist ein typischer Freundschaftsdienst des durch Verwandtschaft, Freundschaft und Nachbarschaft umschriebenen Personenkreises, in dem Verrichtungen in der Regel nicht aus rechtlicher Verpflichtung sondern auf der Grundlage der besonderen Beziehungen ausgeübt werden, so dass keine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit nach § 2 Abs 2 S 1 SGB VII begründet wird.

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27.04.2016 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen auch die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen als Gesamtschuldner.

Der Streitwert wird endgültig auf 74.820,92 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der bei dem Abschleppvorgang am 09.03.2013 verletzte Beigeladene als Wie-Beschäftigter tätig war und ob das Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.

Der 1990 geborene Beigeladene erlitt am 09.03.2013 einen schweren Unfall, als er mit Hilfe eines vom ihm gefahrenen Traktors bei Tageslicht und trockener Witterung den PKW seines Onkels, des Kläger zu 1, abschleppte. Zu diesem Zweck wurde ein Abschleppseil einerseits in die Anhängerkupplung des Traktors, andererseits in die hierfür vorgesehene Abschleppöse im Frontbereich des PKW befestigt. Die Abschleppöse wurde, als das Gespann etwa Schrittgeschwindigkeit erreicht hatte, aus der Befestigung herausgerissen und der metallene Teil durch die Luft geschleudert. Dieser traf den Beigeladenen im Bereich der rechten Seite des Kopfes, wodurch er sofort bewusstlos wurde und aus dem Sitz heraus nach unten sackte. Durch die Gewichtsverlagerung wurde das Gaspedal betätigt, so dass der Traktor führerlos weiterfuhr und auf das angrenzende Gebäude aufprallte, wo das Fahrzeug zum Stehen kam. Der Beigeladene erlitt bei dem Unfall u.a. ein offenes Schädel-Hirn-Trauma, eine Hemiparese rechts, beidseitige Felsenbeinfrakturen, Mittelgesichtsfrakturen sowie weitere Verletzungsfolgen (vgl. Entlassungsbericht der Kliniken S. vom 27.05.2013, Bl. 59 der Verwaltungsakte).

Mit Schreiben vom 10.07.2013 (Bl. 1 ff. der Verwaltungsakte) zeigte die Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen der Beklagten den Unfall an und teilte mit, dass gegenüber der Haftpflichtversicherung des Klägers zu 1, der Klägerin zu 2, Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend gemacht worden seien. Diese stelle sich jedoch auf den Standpunkt, dass ein Haftungsausschluss nach § 104 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) zur Anwendung komme. Es werde daher um Überprüfung gebeten, ob ein Arbeitsunfall vorliege.

Die Beklagte leitete daraufhin ein Feststellungsverfahren ein und zog medizinische Unterlagen bei. Auf Nachfrage teilte die Beigeladenenvertreterin mit (Schreiben vom 27.08.2013, Bl. 67 ff. der Verwaltungsakte), der Beigeladene habe den Auftrag, das Auto von der Wiese abzuschleppen, von dem Kläger zu 1 erhalten. Er selbst habe dabei kein eigenes Interesse am Abschleppen gehabt, sondern seinem Onkel, dem Kläger zu 1, einen Gefallen tun wollen. Bei dem abgeschleppten PKW habe es sich um das Privatfahrzeug des Klägers zu 1 gehandelt, Halter des Traktor sei der (verstorbene) Großvater des Beigeladenen. An den Vorgang im Einzelnen könne sich der Beigeladene nicht mehr erinnern. Auf weitere Nachfrage gab die Beigeladenenvertreterin an, es sei doch üblich, dass der Neffe dem Onkel helfe (Bl. 71 der Verwaltungsakte).

Die Beklagte zog sodann die staatsanwaltlichen Ermittlungsakten (Az. 23 Js 4986/13) bei (Bl. 73 ff. der Verwaltungsakte). Laut des im Ermittlungsverfahren gegen den Kläger zu 1 erhobenen Gutachtens der D. GmbH R. vom 31.07.2013 (Bl. 131 ff. der Verwaltungsakte) sei vor dem Bruch der Abschleppöse für einen KFZ-technischen Laien nicht ohne weiteres erkennbar gewesen, dass diese am Befestigungspunkt so stark korrosionsgefährdet war, dass mit einem Abreißen der Öse zu rechnen gewesen sei. Der zum Unfall f...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge