Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Benennung eines Gutachters im Widerspruchsverfahren. Einholung eines weiteren zeitgleichen Gutachtens auf einem anderen Fachgebiet. kein Verstoß gegen § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB 7. Rüge erst im Klageverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Schlägt der Versicherte selbst einen Gutachter im Widerspruchsverfahren vor und wird in derselben Klinik zeitgleich ein weiteres Gutachten auf einem anderen Fachgebiet eingeholt, liegt kein beachtlicher Verstoß gegen § 200 Abs 2 SGB VII vor, wenn die Auswahl des Gutachters erst im Klageverfahren gerügt wird und davon auszugehen ist, dass das Auswahlrecht bekannt war. Eine Rüge erst im Klageverfahren ist in diesem Falle verspätet.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. August 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung weiterer Unfallfolgen infolge eines anerkannten Arbeitsunfalls vom 09.12.2008 streitig.

Die 1978 geborene Klägerin prallte während ihrer - bei der Beklagten versicherten - Tätigkeit als Physiotherapeutin im R.-Krankenhaus in S. am 09.12.2008 mit der linken Kleinzehe gegen die Eisenstange eines Rollators. Sie spürte sofort heftige Schmerzen und eine Schwellung des Zehs. Sie arbeitete unter Schmerzen weiter.

Die Klägerin wurde am 07.01.2009 durchgangsärztlich von Prof. Dr. Dr. T. untersucht. Dieser diagnostizierte eine Prellung der kleinen Zehe links. Eine knöcherne Fraktur konnte bei der Röntgenuntersuchung des linken Vorfußes zunächst nicht festgestellt werden.

Nachdem die Schmerzen anhielten, wurde am 31.08.2009 ein MRT des linken Vorfußes in der Gemeinschaftspraxis diagnostische Radiologie Dr. B. und Kollegen durchgeführt. Es zeigte sich eine schräge Frakturlinie der Grundphalanx der linken Kleinzehe distal ohne Fehlstellung.

Am 13.10.2009 wurde die Zehe durch Dr. K., Facharzt für Orthopädie, operativ nach Hohman versorgt. Der Arzt teilte der Beklagten auf Anfrage am 24.03.2010 mit, dass sich retrospektiv bereits im Röntgenbild vom 07.01.2009 eine distale Fraktur mit lateralem Fragment des Grundgelenkes D5 links erahnen lasse. Er müsse daher von einer Fraktur der Zehe infolge des Unfalles vom 09.12.2008 ausgehen. Die Wundheilung sei zeitgerecht erfolgt. Überlagert durch eine Somatisierungstendenz der Klägerin sei es allerdings zu einer Schmerzsymptomatik mit entsprechender Belastungseinschränkung und Schonung gekommen. Nach der inzwischen folgenlos ausgeheilten Fraktur sei nach der Operation ab dem 08.02.2010 wieder eine Arbeitsfähigkeit der Klägerin gegeben.

Am 18.12.2009 zeigte der Arbeitgeber der Klägerin den Unfall gegenüber der Beklagten an.

Im Oktober 2010 schlug sich die Klägerin zu Hause die rechte Kleinzehe an. Seitdem bestehen auch im Bereich der rechten Kleinzehe Dauerschmerzen. Seit Mai 2011 bestehen zudem nach einer Überbelastung im Rahmen einer manuellen Therapie Schmerzen an der rechten Hand (ulnar, kleine Finger). Ähnliche Beschwerden bestehen auch im Bereich der linken Hand.

Vom 19.01.2012 bis 04.02.2012 befand sich die Klägerin aufgrund der anhaltenden Schmerzen auf Kosten der Krankenversicherung zur stationären Behandlung in der R.-Klinik Bad W. Dort wurde ein Zustand nach Fraktur der Kleinzehe links mit neuropathischem Schmerzsyndrom im Bereich des N. suralis und spiegelbildlich rechtsseitigem neuropathischem Schmerzsyndrom sowie eine Dysthymie diagnostiziert. Im Entlassbericht wird angegeben, die Klägerin berichte, dass sie aufgrund ihrer chronischen Bauchschmerzen bis 2011 etwa vier Jahre lang in psychotherapeutischer Behandlung gewesen sei.

Die Beklagte beauftragte daraufhin Prof. Dr. S. mit der Erstellung eines neurologisch-psychiatrischen Befundberichts im Rahmen der Heilverfahrenskontrolle. Dieser hat die Klägerin am 10.02.2012 ambulant untersucht und in seinem Bericht vom selben Tag wie folgt ausgeführt: Ein neurologisches Krankheitsbild, welches die von der Klägerin beschriebenen Beschwerden hervorbringen könne, sei nicht bekannt. Während geringe Restbeschwerden an der linken Zehe noch nachzuvollziehen seien, sei die Ausweitung auf Hände und Füße beidseits nicht zu erklären. Die Befunde seien mit den Beschwerden nicht zu vereinbaren. So liege weder eine wesentliche Muskelminderung vor, noch Zeichen vegetativer Fehlregulation, wie dies bei chronischen Schmerzen zu erwarten sei. Psychisch ergäben sich Hinweise auf eine wahnhafte Verarbeitung und psychoseähnliche Störung der Wahrnehmung und Urteilskraft. Ergänzend teilte Prof. Dr. S. am 27.03.2012 mit, dass es sich bei der in der R.-Klinik gestellten Diagnose einer Dysthymie um eine chronische Form der depressiven Episode handle. Die von der Klägerin gezeigten Beschwerden (übertriebene Berührungs- und Bewegungsangst) erklärten diese Diagnose aber bei weitem nicht. Er könne keine Unfallfolgen auf neurologischem und psychiatrischen Fachgebiet erkennen.

Vom 25.02.2012 bis 06.04.2012 b...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge