Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Blindenführhund als Hilfsmittel. Sehvermögen. Behinderungsausgleich. Nahbereich. Wirtschaftlichkeit. Sachleistung

 

Orientierungssatz

Ein Blindenführhund dient dem Ausgleich einer Behinderung. Im Falle der Blindheit oder einer nahezu vollständigen Blindheit dient der Blindenführhund dem Ersatz des vollständig oder weitgehend verlorenen Sehvermögens. Er dient damit auch der Orientierung im Raum und der Mobilität, die infolge des Verlusts der Sehfähigkeit eingeschränkt oder völlig weggefallen sind.

 

Normenkette

SGB V § 2 Abs. 2, § 13 Abs. 1, § 33 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 34 Abs. 4, § 127 Abs. 1; SGB IX § 15 Abs. 1 Sätze 3-4

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte Kosten für die Versorgung der Klägerin mit einem Blindenführhund zu übernehmen hat.

Die am 1965 geborene Klägerin ist bei der Beklagten als Rentnerin versichert. Sie ist verheiratet, Mutter zweier Kinder (1992 und 1993 geboren) und nicht berufstätig. Bei ihr liegt ein Myopie mit Astigmatismus beidseits und eine Aniridie beidseits mit Sehschwäche vor. Deshalb stellte

die ärztliche Gemeinschaftspraxis Dr. G./Dr. S. am 24. Oktober 2003 eine Hilfsmittelverordnung über die Versorgung der Klägerin mit einem Blindenführhund aus. Nach Vorlage der Hilfsmittelverordnung bei der Beklagten reichte die Klägerin einen Kostenvoranschlag der Blindenführhundschule Se. in 86633 Neuburg-Zell vom 29. Oktober 2003 bei der Beklagten ein. Der Kostenvoranschlag belief sich auf insgesamt € 19.461,16. Enthalten waren Kosten für die Zucht und Aufzucht eines ausbildungsfähigen Hundes, die Ausbildung des Hundes, die Untersuchung des Gesundheitszustands, die Pflege- und Futterkosten während der Ausbildung, das Führhundzubehör, einen Einführungslehrgang inklusive Training am Wohnort des Führhundhalters, die Kosten für Hotelübernachtungen und Fremdverpflegung sowie An- und Rückfahrt. Dr. R., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg Karlsruhe (MDK), forderte zunächst mit seiner Stellungnahme vom 30. Oktober 2003 weitere Befundunterlagen an. Die Klägerin reichte einen Arztbrief des Augenarztes Dr. A. vom 08. Dezember 2003 bei der Beklagten ein. Er gab an, der Visus rechts liege bei cc 1/35 und links bei cc “Handbewegung„. Es liege eine Myopie mit Astigmus beidseits, eine Aniridie beidseits mit Sehschwäche, ein Nystagmus, ein Katarakt und eine Microkornea links vor. Eine ophthalmologische Ursache für die Cephalgie und Hinweise wegen der Raumforderung könne er nicht feststellen. Dr. W., MDK, führte hierauf in seiner Stellungnahme vom 16. Dezember 2003 aus, im Vergleich zur Situation 1997 sei die Sehkraft weiter gemindert worden. Notwendig wäre eine Stellungnahme des Augenarztes, wodurch diese weitere Sehkraftminderung ausgelöst worden sei und ob nicht möglicherweise eine Operation ein Besserung herbeiführen könne. Ob ein Mobilitätstraining durchgeführt worden sei, sei nicht ersichtlich. Dr. A. teilte daraufhin mit, die Ursache der Sehkraftminderung könne er nicht angeben. Eine Besserung durch eine Operation sei theoretisch möglich, könne aber nicht vorhergesagt werden.

Mit Bescheid vom 29. Dezember 2003, dem eine Rechtsmittelbelehrung nicht beigefügt war, lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für den Blindenführhund ab. Kosten für einen solchen könnten erst dann übernommen werden, wenn wirtschaftlichere Alternativen nicht möglich seien. Zunächst sei die Durchführung eines Mobilitätstrainings die wirtschaftlichere Wahl. Die Klägerin teilte daraufhin zunächst mit, sie wünsche ein Mobilitätstraining und legte ein Attest des Arztes für Augenheilkunde Prof. Dr. Ro., Augenklinik im Universitätsklinikum H., vom 19. Januar 2004 vor. Er gab an, bei der Klägerin bestehe beidseits Blindheit im Sinne des Gesetzes infolge einer beidseitigen Aniridie. Die Sehschärfe sei beidseits auf 0,01 herabgesetzt, das Gesichtsfeld beidseits konzentrisch eingeengt. Eine selbstständige Orientierung sei nicht mehr möglich. Zur Erlangung der eigenständigen Orientierung im Straßenverkehr und zum Erlernen von Technik und Einsatz des Blindenstocks sei deshalb die Durchführung eines Mobilitätstrainings dringend erforderlich. Wegen der familiären Situation sei ein ambulantes Training angezeigt. Dr. Gr., MDK, führte hierzu in seiner Stellungnahme vom 11. Februar 2004 aus, es bestehe Blindheit im Sinne des Gesetzes, sodass ein Mobilitätstraining zum Gebrauch des Langstocks medizinisch indiziert sei. Bei der vorliegenden Diagnose werde von den Spitzenverbänden der Krankenkassen von der Arbeitsgruppe M8 “Hilfsmittel/Medizinprodukte„ die Kostenübernahme für ein 20-stündiges Training empfohlen. Weiterhin stünden dem Blinden zwei Langstöcke zu. Mit Bescheid vom 14. Februar 2004 bewilligte die Beklagte die Kostenübernahme für ein Mobilitätstraining für maximal 20 Stunden mit einem Stundensatz von

€ 38,86 sowie gegebenenfalls zwei Blindenlangstöcke für maximal € 127,82.

Am 16. Februar 2004 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 29....

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