Entscheidungsstichwort (Thema)

Überprüfungsantrag. Rücknahme der rechtswidrigen Kürzung der Regelleistung wegen Krankenhausverpflegung

 

Leitsatz (amtlich)

§ 40 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2 iVm § 330 Abs 1 SGB 3 steht der Rücknahme einer rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Kürzung der Regelleistung wegen stationärem Krankenhausaufenthalt im Zugunstenverfahren entgegen. Zwar hat das BSG zur Anrechnung von Krankenhausverpflegung auf die Regelleistung für die Zeit bis 31.12.2007 entschieden, dass es hierfür keine Rechtsgrundlage gibt (vgl BSG vom 18.06.2008 - B 14 AS 22/07 R = BSGE 101, 70 = SozR 4-4200 § 11 Nr 11). Auch insoweit handelt es sich jedoch um die Frage der Auslegung einer Norm iS von § 330 Abs 1 SGB 3, denn auch wenn die Gesamtheit der als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden Normen vom BSG anders ausgelegt wird als in einheitlicher Praxis von den Grundsicherungsträgern, ist dies ein Anwendungsfall des § 330 Abs 1 SGB 3.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 21.06.2011; Aktenzeichen B 4 AS 118/10 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. September 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt im Wege des Zugunstenverfahrens höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 6. März bis 8. Juni 2006.

Die 1977 geborene Klägerin bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Vom 20. Februar bis 19. Mai 2006 befand sie sich in vollstationärer, anschließend bis zum 9. Juni 2006 in tagesklinischer Behandlung. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 18. Mai 2006 für die Zeit vom 6. März bis 30. September 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und kürzte für diesen Zeitraum die Leistung wegen der häuslichen Verpflegungsersparnis um 120,75 € monatlich. Mit Änderungsbescheid vom 27. Juni 2006 korrigierte sie den Einbehalt für die Zeit vom 20. Mai bis 8. Juni 2006 auf 73,58 € monatlich wegen der teilstationären Behandlung, ab 9. Juni 2006 wurde wieder die volle Regelleistung bewilligt. Diese Bescheide wurden bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 5. November 2008 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides vom 18. Mai 2006 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und nahm zur Begründung auf ein zwischenzeitlich ergangenes Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) Bezug, wonach die Kürzung des Regelsatzes wegen Krankenhausaufenthalts zumindest nach der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage rechtswidrig war. Mit Bescheid vom 5. November 2008 lehnte die Beklagte dies mit der Begründung ab, dass bei der damaligen Entscheidung weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2008 zurück und führte hierzu aus, selbst wenn die in § 44 Abs. 1 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines bindenden, rechtswidrigen Verwaltungsakts vorlägen, könne dieser nur mit Wirkung für die Zeit ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückgenommen werden. Dies ergebe sich aus § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Hinsichtlich der Anrechnung von Krankenhausverpflegung auf die Regelleistung habe erst das Urteil des BSG vom 18. Juni 2008 (- B 14 AS 22/07 R - BSGE 101, 70 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 11) zu einer ständigen Rechtsprechung geführt, zuvor sei die Rechtsprechung der Landessozialgerichte uneinheitlich gewesen.

Mit ihrer am 11. Dezember 2008 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Sie ist der Auffassung, das Urteil vom 18. Juni 2008 sei sinnlos, wenn nicht auf seiner Grundlage rechtswidrige Bescheide aus dem Zeitraum, auf die es sich beziehe, rückgängig gemacht werden könnten.

Mit Urteil vom 25. September 2009 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 5. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Dezember 2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Bescheid vom 18. Mai 2006 zurückzunehmen und der Klägerin für die Zeit vom 20. Februar 2006 bis 19. Mai 2006 die volle Regelleistung nach dem SGB II zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X seien hinsichtlich des Bescheids vom 18. Mai 2006 unstreitig und offensichtlich erfüllt. Bei der verfügten Kürzung der Regelleistung für die Dauer des stationären Aufenthalts sei das Recht unrichtig angewandt worden, wie sich aus den Gründen des BSG-Urteils vom 18. Juni 2008 ergebe. In Folge dessen seien Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden, nämlich die Kürzungsanteile der der Klägerin zustehenden Regelleistung. Die Rücknahme des Bescheids vom 18. Mai 2006 sei nicht gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 1 SGB III ausgeschlossen. Dies wäre lediglich dann der Fal...

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