Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Einkommenseinsatz. Anrechnung des Kindergeldes. volljähriges Kind. Weiterleitung des Kindergelds vom Elternteil an das unterhaltsbedürftige Kind: Zuflussprinzip

 

Leitsatz (amtlich)

Kindergeld für volljährige Kinder ist - auch wenn es dem kindergeldberechtigten Elternteil zunächst zufließt - dann bei diesem als bloßer "Durchlaufposten" anzusehen und nicht als eigenes Einkommen anzurechnen, wenn er es bestimmungsgemäß und unverzüglich an das außerhalb seines Hausstandes lebende Kind weiterleitet, welches es zur Sicherung seines Unterhalts benötigt.

 

Normenkette

SGB II § 11 Abs. 1; SGB XII § 82 Abs. 1; EStG §§ 31, 74 Abs. 1; Alg II-VO § 1 Abs. 1 Nr. 8

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 11.12.2007; Aktenzeichen B 8/9b SO 23/06 R)

 

Tenor

1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 2. März 2006 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab Mai 2006 um 154,- Euro monatlich höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren. Der Bescheid vom 6. September 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Oktober 2005 wird aufgehoben, soweit er dem entgegen steht.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen hat die Beklagte 7/20 zu erstatten.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen der Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch ≪SGB XII≫ um die Anrechnung von Kindergeld als Einkommen.

Die am ... 1955 geborene Klägerin bezieht aufgrund Bewilligungsbescheids der Beklagten vom 14. Februar 2005 seit 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Hierbei wurde das Kindergeld, welches die Klägerin für ihren am ... 1980 geborenen, mit ihr nicht in häuslicher Gemeinschaft lebenden Sohn S. bezieht, bei dieser als Einkommen angerechnet.

Mit Schreiben vom 7. April 2005 beantragte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten die Gewährung ergänzender Grundsicherungsleistungen für die Zukunft unter Anderem mit der Begründung, das Kindergeld dürfe nicht auf deren Bedarf angerechnet werden. Die Klägerin habe das an sie ausbezahlte Kindergeld in der Vergangenheit stets an ihren Sohn weitergeleitet.

Durch Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2005 wurden die Grundsicherungsleistungen der Klägerin ab Juni 2005 bis auf Weiteres abgeändert; die monatlichen Leistungen wurden - unter Berücksichtigung des Krankenversicherungsbeitrags ab Juni 2005 - auf 503,93 Euro festgesetzt.

Mit Bescheid vom 6. September 2005 wurde der Antrag der Klägerin vom 7. April 2005 auf Gewährung höherer Leistungen abgelehnt. Zur Begründung wurde in Bezug auf das Kindergeld ausgeführt, dieses sei bei volljährigen Kindern immer Einkommen des Kindergeldberechtigten. Selbst wenn die Klägerin das Kindergeld an ihren Sohn weiterleite, könne dies nicht zu Lasten des Grundsicherungsträgers gehen, da sie andernfalls ihre eigene Leistungsberechtigung erhöhen würde.

Dagegen erhob die Klägerin am 19. September 2005 Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2005 zurückgewiesen wurde mit der Begründung, nach § 82 Abs. 1 SGB XII gehörten zum Einkommen grundsätzlich alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert bis auf die dort genannten Ausnahmen. Bei Minderjährigen sei das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts benötigt werde. Nach Rdnr. 82.50 der Sozialhilferichtlinien Baden-Württemberg zum SGB XII sei Kindergeld Einkommen des Kindes, soweit es von den Kindergeldberechtigten nachweislich durch einen besonderen Zuwendungsakt zweckgebunden an dieses weitergegeben werde. Durch einen solchen Zuwendungsakt dürfe der Kindergeldberechtigte seine Leistungsberechtigung und die weiterer unterhaltsberechtigter Angehöriger allerdings nicht herbeiführen oder erhöhen. Durch die Weitergabe des Kindergeldes an den Sohn würde sich die Leistungsberechtigung der Klägerin um monatlich 154,- Euro erhöhen, weshalb das Kindergeld der Klägerin als Einkommen zuzurechnen sei.

Am 26. Oktober 2005 hat die Klägerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben, die sie damit begründet hat, sie habe das Kindergeld bislang immer an ihren Sohn, der nicht in ihrem Haushalt lebe, weitergeleitet. Lediglich ab April 2005 habe sie es zur Sicherung der eigenen Existenz behalten; im Obsiegensfalle werde sie aber auch dieses Geld an ihren Sohn weiterleiten. Dieser absolviere eine Ausbildung, für die er nur eine Ausbildungsbeihilfe in Höhe von 300,- Euro monatlich erhalte und sei daher zur Sicherung seines eigenen Unterhalts auf das Kindergeld angewiesen. Ihr Sohn wohne nach dem Verlust seiner letzten (eigenen) Wohnung seit Kurzem bei den Großeltern, bis er wieder eine eigene Wohnung gefunden habe und werde auch von seinem Vater finanziell unterstützt. Das Kindergeld sei fehlerhaft auf ...

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