Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeldanspruch. Bemessungsentgelt. Arbeitsentgeltanspruch. tarifvertraglicher Konsolidierungsverzicht. auflösende Bedingung. Wiederaufleben bei Insolvenzanmeldung. kein Missbrauch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat ein Arbeitnehmer auf der Grundlage eines Konzernsanierungstarifvertrages auflösend bedingt (hier: Insolvenzantrag des Arbeitgebers) im Bemessungszeitraum auf Arbeitsentgelt verzichtet und wurde dieser nach Bedingungseintritt nun fällig gewordene Arbeitsentgeltanspruch alleine wegen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht erfüllt, ist das Arbeitslosengeld auch unter Berücksichtigung der nicht ausgezahlten Arbeitsentgeltanteile zu bemessen.

2. Eine rechtsmissbräuchliche Vergesellschaftung des Verzichtes auf Arbeitsentgelt kann demnach tariflichen Regelungen zu einem "Konsolidierungsbeitrag" herangezogenen Versicherten nicht entgegengehalten werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 11.06.2015; Aktenzeichen B 11 AL 13/14 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05.06.2013 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Urteil den Bescheid der Beklagten vom 27.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.12.2011 ändert.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger gegen die Beklagte für die Zeit vom 01.07.2011 bis 03.07.2011 ein Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld zusteht (kalendertäglich 64,60 € statt bewilligter 61,95 €).

Der Kläger, geboren 1979 (Lohnsteuerklasse 3, 2 Kinderfreibeträge), war seit 02.09.1996 als Flachdrucker bei der s. GmbH in F. (Arbeitgeberin) versicherungspflichtig beschäftigt. Die s. G. AG (zum Unternehmen vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/S._g.), zu der die s. GmbH gehört, und ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft - schlossen zur Abwendung einer existenzbedrohenden Situation mit Wirkung für die Zeit vom 01.07.2009 bis 30.09.2012 einen Konzerntarifvertrag (KTV) mit Wirkung für Teilregelungen bis 31.12.2013 (vgl. § 7 KTV, dazu vgl. Blatt 15/19 der SG-Akte; zum Ergebnisprotokoll vgl. Blatt 23/32 der SG-Akte), der auch die s. GmbH erfasste. Darin war u.a. vereinbart worden:

“§ 2 Konsolidierungsbeitrag der Beschäftigten

2.1 Die nachfolgenden Vereinbarungen werden in den tarifgebunden Unternehmen in ergänzenden Firmentarifverträgen konkretisiert und abgeschlossen.

2.2. In den tarifgebunden Unternehmen s., […] werden die Konsolidierungsbeiträge der tarifgebundenen Beschäftigten entsprechend § 1 des Ergebnisprotokolls vom 26.06.2009 vorgenommen.

2.3 […]

2 4 […]

§ 3 Beschäftigungssicherung

3.1 Ab Inkrafttreten dieses Konzerntarifvertrages, d.h. dem 01.07.2009 bis 31.12.2013, ist der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen in den Unternehmen S. GmbH, […]ausgeschlossen. Der tarifliche Kündigungsschutz endet zum 31.12.2013, Dies gilt nicht, soweit in den jeweiligen Firmentarifverträgen-Konsolidierung gem, Ziff. 7.2. dieses Konzerntarifvertrages, anderweitige Regelungen getroffen werden.

3.2 Für jeden Arbeitnehmer, der in den Unternehmen […] s. g. AG auf Entgelt nach diesem Tarifvertrag verzichtet, gilt ab der rechtswirksamen Vereinbarung über diesen Verzicht ebenfalls das Verbot des Ausspruches betriebsbedingter Kündigungen bis 31.12.2013.

[…]

3.3

Meldet die S. g. AG Insolvenz an, leben die vollen Ansprüche auf die tariflichen Leistungen bzw. Entgeltleistungen in sämtlichen betroffenen Unternehmen wieder auf. Wenn eines der in § 1 Ziffer 1.1 genannten Unternehmen Insolvenz anmeldet, leben die vollen Ansprüche auf Entgeltleistungen für die von betriebsbedingten Kündigungen betroffenen Mitarbeiter dieses Unternehmens wieder auf. Die s. g. AG muss die gekürzten Beträge wieder zurückzahlen. ver.di hat in diesem Fall das Recht auf fristlose Kündigung dieses Tarifvertrages.„

In dem zum Konzerntarifvertrag gehörenden Ergebnisprotokoll der Verhandlungen war u.a. folgendes vereinbart worden:

“1. Entfall von Einmalzahlungen

1.1 In den tarifgebundenen Unternehmen [...] s. GmbH, entfallen in den kommenden Jahren dreimal die tariflichen Sonderzahlungen (TJL und ZUG) zu jeweils 50%. Im ersten Jahr 2009/2010 entfallen einmalig die Sonderzahlungen (TJL und ZUG) zu 53%. Die Auszahlungen für die verbleibenden 47 % bzw. 50 % der Sonderzahlungen werden in den Unternehmen auf Juni und November verteilt.

1.2 [...]

1.3 Abweichend von dieser Regelung gilt für die s. GmbH folgende Vereinbarung. Die erste in diese Laufzeit fallende Sonderzahlung (TJL und ZUG) wird zu je 73,5% ausbezahlt.

[…]

4. Beschäftigungssicherung

4.1 Die Beschäftigungssicherung in den tarifgebundenen Unternehmen regelt sich nach den tarifvertraglichen Bestimmungen. Soweit in den Unternehmen, die nicht tarifgebunden sind, tatsächlich Entgeltverzichte erfolgen, gilt die tarifliche Beschäftigungssicherung analog."

Zusätzlich schlossen die s. GmbH und ver.di im Oktober 2009, zum 01.07.2009, einen ergänzenden “Firmentarifvertrag Konso...

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