Entscheidungsstichwort (Thema)

Befreiung von der Versicherungspflicht in der Alterssicherung der Landwirte nach § 85 Abs 3a ALG. Beratungspflicht der Landwirtschaftlichen Alterskasse. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Einführung des § 85 Abs 3a ALG waren die Landwirtschaftlichen Alterskassen verpflichtet, den betroffenen Personenkreis über diese neue Befreiungsmöglichkeit rechtzeitig individuell zu informieren.

 

Orientierungssatz

Ein Sozialversicherungsträger erfüllt seine Beratungspflicht durch Übersendung eines periodischen, mehrseitigen Mitteilungsblattes (hier: Mitteilungsblatt "Sicher Leben") nur dann, wenn das Mitteilungsblatt an das jeweilige Mitglied gerichtet ist und wenn auch juristische Laien auf den ersten Blick auf den maßgeblichen Inhalt des Heftes aufmerksam werden und danach entscheiden können, ob in der gerade vorliegenden Ausgabe für sie wesentliche Informationen enthalten sind.

 

Tatbestand

Die Klägerin erstrebt die endgültige Befreiung von der Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen Alterssicherung nach § 85 Abs. 3a des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) und begehrt so gestellt zu werden, als sei ihr Befreiungsantrag fristgerecht gestellt worden.

Die 1964 geborene Klägerin ist seit 1990 mit einem Nebenerwerbslandwirt verheiratet, der in seinem Hauptberuf als Lkw-Fahrer 1994 Gehalt in Höhe von knapp 54.000,-- DM erzielte, dessen landwirtschaftlicher Betrieb nach Berechnungen der Beklagten am 01. Januar 1995 einen Wirtschaftswert von rd. 14.000,-- DM aufwies und der seit Dezember 1992, dem Beginn seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit, von der Beitragspflicht zur landwirtschaftlichen Alterssicherung befreit ist. Die Klägerin ist Mutter von zwei Kindern, die im August 1991 und im August 1995 geboren sind.

Die Beklagte ermittelte die Klägerin durch einen an ihren Ehemann gesandten Fragebogen als ab Januar 1995 in der landwirtschaftlichen Alterssicherung versicherungspflichtige Ehefrau eines landwirtschaftlichen Unternehmers und zog sie durch Bescheid vom 12. Januar 1995 zur Versicherungspflicht heran. Der Bescheid war mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung sowie mit Hinweisen über die nach damaliger Rechtslage gegebenen Befreiungsmöglichkeiten versehen.

Auf den Veranlagungsbescheid wandte sich der Ehemann der Klägerin nach ihren Angaben telefonisch an die Beklagte, worauf ihm eine Überprüfung der Angelegenheit zugesagt worden sei; Widerspruch erhob die Klägerin nicht. Auch die Beklagte ließ die Angelegenheit zunächst ruhen und trieb insbesondere die festgesetzten Beiträge nicht bei. Über den Fortgang der Beratungen im Bundestag über das Agrarsozialreform-Änderungsgesetz (ASRG-ÄndG) vom 15. Dezember 1995 (BGBl. I, S. 1814) und den Inhalt der getroffenen Neuregelungen berichtete sie in der Zeitschrift "Sicher Leben" in den Heften 4/95, 6/95 sowie 1/96, die sie dem Ehemann der Klägerin, nicht aber der Klägerin selbst zweimonatlich übersandte. Unter diesen Beiträgen war im Heft 4/95 eine kurze Notiz über einen neuen Befreiungstatbestand zugunsten der Ehegatten von der Versicherungspflicht befreiter Landwirte bei einem Wirtschaftswert des Unternehmens bis zur Höhe von 10.000,-- DM und einem außerlandwirtschaftlichen Einkommen des Ehepaars von mindestens 50.000,-- DM. Im Heft 1/96 wurde unter der Überschrift "Neue Befreiungsrechte in der Alterssicherung" über die Ergebnisse des ASRG-ÄndG in der Weise berichtet, daß der Inhalt der davon betroffenen Befreiungstatbestände der §§ 3 und 85 ALG mit ihrem jeweiligen wesentlichen Gesetzeswortlaut wiedergegeben war.

Nachdem die Klägerin im August 1996 wegen der rückständigen Beiträge gemahnt worden war, beantragte sie mit Schreiben vom 09. August 1996 die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen Alterssicherung, zu deren Begründung sie zunächst u.a. auf die Geburt ihres zweiten Kindes am 13. August 1995 hinwies. Dazu ging am 12. Dezember 1996 der förmliche Befreiungsantrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ALG bei der Beklagten ein. Ergänzend machte die Klägerin mit Schreiben vom 07. April 1997 eine Befreiung nach § 85 Abs. 3a ALG geltend und teilte der Beklagten die insoweit maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Ehemannes mit. Auch diesen Antrag sah sie als bereits durch das Schreiben vom 09. August 1996 gestellt. Zur Versäumung der nach § 85 Abs. 3a ALG am 30. Juni 1996 abgelaufenen Antragsfrist führte die Klägerin aus: Seit dem Bescheid vom 12. Januar 1995 und ihrer "telefonischen Widerspruchseinlegung" habe sie von der Beklagten nichts mehr gehört, obwohl ihrem Mann dies bei dem damaligen Anruf zugesichert worden sei. Aufgrund dessen sie davon ausgegangen, daß die Beklagte den Bescheid nochmals überprüfen und abändern werde. Daher wäre es treuwidrig, den Antrag als verspätet zu betrachten.

Mit Bescheid vom 03. März 1997 befreite die Beklagte die Klägerin wegen der Geburt ihres zweiten Kindes für die Zeit ab 01. September 1996 gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 ALG von der...

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