Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wie-Berufskrankheit. Multiple Chemical Sensitivity-Syndrom bzw vielfache Chemikalienunverträglichkeit. Gründe für Entstehung dieser Erkrankung ungeklärt

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Multiple Chemical Sensitivity-Syndrom (MCS) bzw eine vielfache Chemikalienunverträglichkeit kann nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht als Wie-BK nach § 9 Abs 2 SGB 7 anerkannt werden. Die Gründe für die Entstehung dieser Erkrankung sind nicht geklärt. Insbesondere fehlt es an validen Erkenntnissen über besondere berufliche Einflüsse auf das Entstehen eines MCS.

 

Tenor

1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22.06.2011 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Folgen der Berufskrankheiten (BKen) Nr. 1303 bzw. Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) bzw. einer sogenannten Wie-BK nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) im Streit.

Der 1965 geborene Kläger arbeitete seit 1981 als Maler, wobei er seit April 1992 selbstständig tätig war. Die Arbeitsmedizinerin Dr. A. zeigte am 12.08.2005 im Hinblick auf vom Kläger geäußerte Gesichtsschmerzen mit Pelzigkeit und Anschwellung sowie eine im Frühjahr 2005 diagnostizierte Trigeminusneuralgie den Verdacht auf das Vorliegen einer BK an. Der Präventionsdienst der Beklagten berichtete am 07.12.2005, dass der Kläger seit dem Beginn seiner Tätigkeit als Maler und Lackierer hauptsächlich sogenannte Malerlacke (Alkydharzfarben) und Dispersionsfarben verarbeitet habe. Hierbei habe es sich anfänglich zu 70 bis 80 % um lösemittelhaltige, nicht entaromatisierte Farben gehandelt. Unter dem Druck gesetzlicher Vorgaben gingen die Lackhersteller zwischenzeitlich zunehmend dazu über, aromatenhaltige Formulierungen durch aromatenfreie zu ersetzen, sodass der Kläger künftig nahezu ausschließlich derartige aromatenfreie Farben verarbeite. Allerdings mache der Kläger gerade diese aromatenfreie Produkte für seine gesundheitlichen Probleme verantwortlich. Nach seinen Angaben reiche bereits das Hineinriechen in eines dieser Produkte, um typische Reaktionen hervorzurufen. Deswegen habe der Kläger bislang ältere Bestände nicht entaromatisierter Produkte erworben. Hinsichtlich der BK Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) sei festzustellen, dass die in der wissenschaftlichen Begründung zu der BK genannten Gefahrstoffe nicht in den von dem Kläger verdächtigten, zuletzt verarbeiteten Produkten enthalten gewesen seien (Capalac Dickschichtlack von Caparol; B. Flächenlasur 620, B. Gel-Lasur 510, B. Impredur Seidenmattlack 880, B. Impredur Ventillack 822).

Der behandelnde Dermatologe Dr. Sch. teilte mit Befundbericht vom 01.12.2005 eine Kontaktallergie auf aromatenfreie Lacke mit. Der Neurologe Dr. P. diagnostizierte am 15.03.2005 Gesichtsschmerzen rechts. Auf Anfrage der Beklagten untersuchte Dr. P. den Kläger erneut, woraufhin Dr. P. am 20.03.2006 einen neurologisch unauffälligen Befund mitteilte.

Im Auftrag der Beklagten erstellte der Arbeits- und Sozialmediziner Prof. Dr. T. am 13.06.2006 ein Zusammenhangsgutachten. Der Kläger leide nach eigenen Angaben unter gehäuften Kopfschmerzen, einem Taubheitsgefühl der Hände und Füße, Kraftlosigkeit in den Armen und Beinen und einem Zittern der Hände. Er leide allerdings nicht an Vergesslichkeit oder Konzentrationsproblemen. Seit Tätigkeitsbeginn 1981 habe er nach eigenen Angaben alle typischen Tätigkeiten eines Malers und Lackierers ausgeführt, wobei es bei Kontakten mit Kleistern zu Hautrötungen und Juckreizen gekommen sei. Beim Umgang mit Farben und Lacken seien ihm keine Hautveränderungen aufgefallen. Im Mai 2005 habe er erstmals ein Kribbeln sowie ein Taubheits- und Pelzigkeitsgefühl im Bereich der rechten Wange bemerkt, außerdem sei es zu einer Trockenheit im Mund gekommen. Diese Beschwerden seien nur beim Verstreichen von sogenannten aromatenfreien Lacken aufgetreten, welche es erst seit einigen Jahren gebe. Der zeitliche Abstand zwischen der Exposition und dem Auftreten der Beschwerden sei immer kürzer geworden und habe sich von einer halben Stunde auf ca. 15 Minuten verkürzt. Ein spezielles Produkt, welches die Beschwerden auslöse, könne er nicht benennen. Es sei ihm allerdings aufgefallen, dass die aromatenfreien Lacke mit dem Gefahrstoff 2-Butanonoxim gezeichnet seien. Außerdem habe er auch in der arbeitsfreien Zeit, z. B. an Weihnachten, keine Beschwerden. Der Gutachter stellte bei dem Kläger einen insgesamt neurologisch unauffälligen Befund fest. In den von dem Kläger verwendeten Lacken befänden sich organische Lösungsmittel (aliphatische Kohlenwasserstoffe) sowie Toluol und Xylol, welche im Sinne der BK Nr. 1317 und BK Nr. 1303 relevant seien. Die Voraussetzungen für eine BK Nr. 1303 (Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder...

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