Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. haftungsbegründende Kausalität. naturwissenschaftlicher Zusammenhang. Theorie der wesentlichen Bedingung. Nachweis. traumatischer Bandscheibenvorfall. Begleitverletzung. im zeitlichen Zusammenhang hinweisende klinische Symptomatik. beispielsweise eine Nervenwurzelreizsymptomatik

 

Leitsatz (amtlich)

Die Annahme eines wahrscheinlichen naturwissenschaftlichen Zusammenhangs (erste Stufe der Kausalitätsprüfung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung) zwischen versicherter Einwirkung und zeitlich nachfolgend diagnostiziertem Bandscheibenvorfall (sog traumatischer Bandscheibenvorfall) setzt nicht ausnahmslos ligamentäre oder knöcherne Begleitverletzungen voraus. Allerdings ist alternativ zu Begleitverletzungen erforderlich, dass zeitnah zur versicherten Einwirkung eine entsprechende, auf einen Bandscheibenvorfall hinweisende klinische Symptomatik, zB eine Nervenwurzelreizsymptomatik, festgestellt wird.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14.07.2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist - so die verbindliche Vorgabe des Bundessozialgerichts (BSG) im vorliegenden Rechtsstreit - die Feststellung eines Bandscheibenvorfalles an der Halswirbelsäule (HWS) im Bereich der Halswirbelkörper (HWK) 6/7 als Gesundheitserstschaden eines anerkannten Arbeitsunfalles streitig.

Der am 1951 geborene Kläger ist bei der Firma Dr. Ing. h.c. F. P. AG im Bereich Forschung und Entwicklung beschäftigt. Am 03.07.2005 erlitt er als Testfahrer bei einer Erprobungsfahrt auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke in Italien einen Arbeitsunfall, als bei einer Geschwindigkeit von 295 km/h ein Hinterreifen seines Fahrzeugs platzte, das Fahrzeug von der Fahrbahn abkam, die Leitplanke durchbrach und in einem Wäldchen zum Stehen kann, wobei der Kläger u.a. einen Bruch des zweiten Brustwirbelkörpers erlitt.

Nach notfallmedizinischer Versorgung und Behandlung im örtlichen Krankenhaus stellte sich der Kläger am 06.07.2005 bei dem Facharzt für Chirurgie Dr. S. in P. vor, der in seinem am selben Tag erstellten Bericht u.a. Schmerzen im Bereich der HWS mit Bewegungseinschränkungen beschrieb und eine HWS-Distorsion, eine Hüftprellung, eine Thoraxprellung rechts, ein stumpfes Bauchtrauma sowie eine Sprunggelenksdistorsion links diagnostizierte. Bei seiner Wiedervorstellung am 22.07.2005 berichtete der Kläger erstmals auch über eine zunehmende Einschränkung der Beweglichkeit des linken Armes und Schwindelgefühle beim Kopfdrehen, am 01.08.2005 über ein wiederkehrendes Taubheitsgefühl im Bereich der linken Hand und eine Verschlechterung der Bewegungsfähigkeit der HWS sowie später, am 26.08.2005 in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T., über Kribbelparästhesien in allen vier Fingern der linken Hand. Wie ein zweites, am 30.08.2005 angefertigtes Magnetresonanztomogramm (MRT)) zeigten bereits die Bilder der zunächst am 04.08.2005 durchgeführten Kernspintomographie der HWS neben deutlich ausgeprägten degenerativen Veränderungen der HWK 4 bis 7 und einem Deckplatteneinbruch des zweiten Brustwirbelkörpers auch - von den erstuntersuchenden Radiologen nicht erkannt (vgl. den Befundbericht Bl. 10 VA: fast normal hohe Bandscheibe mit normal weiten Neuroforamina) - im Bereich der HWK 6/7 einen Bandscheibenvorfall mit intraforaminalem Anteil (Gutachten des Prof. Dr. W., Geschäftsführender Oberarzt der Abteilung diagnostische und interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums H.). Am 12.01.2006 wurde im HWK 6/7 eine Bandscheibenprothese implantiert, diese aber im Juli 2007 wegen aufgetretener Komplikationen bei gleichzeitiger Fusion der HWK 6/7 wieder entfernt.

Die den Kläger im April/Juni 2006 behandelnden Ärzte der Rehaklinik H. in B. Ärzte gingen ausweislich des Entlassungsberichts davon aus, dass die aufgetretene Symptomatik als indirekte Folge des vom Kläger erlittenen Arbeitsunfalls anzusehen sei (posttraumatische Aktivierung bei sicher vorbestehenden, aber asymptomatischen degenerativen Veränderungen der mittleren und unteren HWS). In diesem Sinne äußerte sich auch Prof. Dr. H., Leitender Arzt im Klinikum K-L., in seinem an den Bevollmächtigten des Klägers gerichteten Schreiben vom 05.04.2006, nachdem die Beklagte die Übernahme der Behandlungskosten abgelehnt hatte. Seines Erachtens sei das erlittene Hochrasanztrauma auslösende Ursache des Bandscheibenvorfalls; dieser Unfall sei “sehr wohl„ geeignet, einen solchen hervorzurufen.

Zur Klärung des Zusammenhangs zwischen dem Bandscheibenvorfall und dem Unfallereignis veranlasste die Beklagte das Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. C. auf Grund Untersuchung des Klägers am 12.02.2007. Dieser ging von einer richtungsweisenden Verschlimmerung der vorbestehenden degenerativen Veränderungen an der HWS aus und beurteilte den Bandscheibenvorfall im ...

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