Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Verletztenrente. Ruhen des Anspruchs auf Versorgungsbezüge (Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage etc) gem § 65 BVG. keine direkte oder analoge Anwendung der Ausnahmeregelung für die Grundrente. zweckbestimmte Einnahme in Höhe der Grundrente. verfassungskonforme Auslegung

 

Orientierungssatz

1. Die Ausnahmeregelung des § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 aF über die nicht als Einkommen zu berücksichtigenden Leistungen kann auf die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung weder direkt noch analog angewendet werden (vgl BSG vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 62/06 R).

2. Von der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist der Teil, der einer Grundrente nach § 31 BVG bei entsprechendem Grad der Schädigungsfolgen entspricht, im Wege einer verfassungskonformen Auslegung als zweckbestimmte Einnahme nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB 2 aF von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen, wenn der Leistungsberechtigte einen zuerkannten Anspruch auf Grundrente innehat, diese aber nach § 65 BVG wegen gleichzeitiger Gewährung der Verletztenrente ruht.

3. Dagegen bestehen vor Art 3 Abs 1 GG keine Bedenken, wenn die Verletztenrente auf die Ansprüche nach dem SGB 2 angerechnet wird, soweit sie andere Ansprüche als die Grundrente nach dem BVG verdrängt. Die Ausgleichsrente, der Berufsschadensausgleich, die Schwerstbeschädigtenzulage und die Zulagen für Kinder und Ehegatten sind auch dann, wenn sie tatsächlich gezahlt werden, anrechenbares Einkommen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 17.10.2013; Aktenzeichen B 14 AS 58/12 R)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Januar 2008 abgeändert.

2. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 15. Juli 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. September 2005 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 13. Juli 2005 bis zum 30. September 2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von € 556,90 (Euro fünfhundertsechsundfünfzig 90/100) zu zahlen.

3. Die Berufung der Klägerin wird im Übrigen, die Berufung des Klägers im Ganzen zurückgewiesen.

4. Der Beklagte erstattet der Klägerin 1/10 (ein Zehntel) ihrer außergerichtlichen Kosten beider Instanzen. Im Übrigen werden außergerichtliche Kosten nicht erstattet.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bzw. nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Sie streiten vor allem darum, ob von der Verletztenrente, die der Kläger bezieht, ein Teil anrechnungsfrei bleiben muss, unter anderem der Teil, der einer Grundrente nach dem Versorgungsrecht entspricht.

Der 1940 geborene Kläger und die 1948 geborene Klägerin sind miteinander verheiratet.

Der Kläger wurde am 30.07.1996 im Rahmen seiner Berufstätigkeit Opfer eines Gewaltverbrechens. Er wurde niedergeschossen und lag längere Zeit im Koma. Er hat erhebliche dauerhafte Verletzungen davongetragen.

1. Der Träger der Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) und dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), der Freistaat Sachsen, erkannte erstmals mit Vorbehalts-Bescheid vom 26.11.1997 des Versorgungsamts Chemnitz das Attentat als Gewalttat nach dem OEG und mehrere Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers als Folgen dieser Tat an. Ferner stellte er eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE, heute: Grad der Schädigungsfolgen, GdS) von 100 v.H. fest und gewährte ab dem 01.07.1996 Grundrente nach einer MdE von 100, Pflegezulage, Schwerstbeschädigtenzulage und Ausgleichsrente in Höhe der Hälfte einer vollen Rente. Mit Bescheid vom 27.11.1998 wurden unter Aufhebung des Vorbehalts-Bescheids die bisherigen und weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge des Attentats anerkannt und die bisherigen Leistungen sowie ab Juli 1997 zusätzlich Kinderzuschlag und Ehegattenzuschlag gewährt. In der Folgezeit ergingen weitere Bescheide des Versorgungsamts. Einige Leistungen des Versorgungsamts wurden später angehoben, unter anderem - auf Grund eines Urteils des 8. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 18.05.2005 (L 8 VG 1018/04) - die Pflegezulage. Die Entscheidung des Versorgungsamts über die Bewilligung von Berufsschadensausgleich verzögerte sich.

Im Jahre 2000 erkannte die zuständige Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, die damalige Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten (im Folgenden: BG), das Attentat vom 30.07.1996 als Arbeitsunfall im Sinne des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII) an. Sie gewährte mit Bescheid vom 01.12.2000 zunächst Pflegegeld rückwirkend ab dem 14.03.1997. Mit Bescheid vom 03.04.2001 gewährte die BG - auch - eine Verletztenrente nach einer MdE von 100 v.H. ab dem 27.01.1998, wobei der monatliche Zahlbetrag ab Juli 2000 DM 2.037,36 betrug.

Bereits nach der Bewilligung des Pflegegeldes und erneut nach der Bewilligung der Verletztenrente machte das Versorgungsamt Erstattungsansprüche gegen die BG gel...

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