Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Widerspruchsverfahren. Kostentragung. unbeachtlicher Verfahrensfehler

 

Leitsatz (amtlich)

Auch wenn ein Widerspruch nicht erfolgreich ist, trägt die Verwaltungsbehörde die Kosten des Widerspruchsverfahrens, wenn sie vor Erlass des Verwaltungsaktes den Widerspruchsführer pflichtwidrig nicht angehört hat.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welchem Umfang Kosten eines  Widerspruchsverfahrens dem Kläger zu erstatten sind.

Der Kläger ist als Urologe in T. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.  Einem Antrag des Klägers zur Abrechnung der Leistung nach der Geb.-Nr. 16 des  einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen (EBM) gab die  Beklagte statt, weil die Anerkennung als onkologisch verantwortlicher Arzt im  Sinne der Onkologie-Vereinbarung vorliege (Schreiben vom 3.9.1996). Mit einem  Schreiben vom 9.4.1997 wies die Beklagte den Kläger auf eine Übergangsregelung  der neugefassten Onkologie-Vereinbarung mit der IKK Baden-Württemberg hin,  wonach bei Nichterfüllung der Voraussetzungen die Berechtigung mit Ablauf der  in der Übergangsregelung genannten Frist ende. Mit einem weiteren Schreiben  vom 21.11.1997 teilte die Beklagte dem Kläger zum Umfang seiner  Onkologie-Genehmigung u. a. mit, er sei berechtigt zur Inanspruchnahme der  Kostenerstattung bei der IKK und den Ersatzkassen. Diese Genehmigung widerrief  die Beklagte aus gebührenrechtlichen Gründen (Bescheid vom 29.1.1998).  Hiergegen erhob der Kläger am 16.2.1998 Widerspruch und machte einen  Bestandsschutz für sich geltend. Ergänzend wies er darauf hin, dass er vor dem  Erlass des Widerrufes nach § 24 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch  (SGB X) hätte angehört werden müssen.

Der Vorstand der Beklagten gab dem Widerspruch des Klägers teilweise statt,  weil der Genehmigungsbescheid nur bezogen auf den Ersatzkassen- und  Innungskrankenkassenbereich hätte zurückgenommen werden dürfen, nicht aber für  die übrigen Kassenarten (AOK, BKK und LKK). Die unterbliebene Anhörung sei  unschädlich. Diese könne noch im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden  (Widerspruchsbescheid vom 14.5.1998). Nachdem der Kläger das Fehlen einer  Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 14.5.1998 gerügt hatte,  entschied der Vorstand der Beklagten in Ergänzung zu diesem  Widerspruchsbescheid unter dem 2.9.1998, dass die Kosten des Vorverfahrens der  Kläger und die Beklagte im Verhältnis ein Drittel zu zwei Drittel tragen und  die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren für notwendig erklärt  wird. Er verwies darauf, die Häufigkeit der Abrechnung der Geb.-Nr. 16 EBM im  Verhältnis der Primär- zu der Ersatzkassenabrechnung betrage zwei Drittel zu  ein Drittel. Da dem Widerspruch im Bereich der Primärkassen stattgegeben  worden sei, habe sie (die Beklagte) auch insoweit die Kosten zu tragen. Da der  Widerspruch bei den Ersatzkassen zurückgewiesen worden sei, trage diese Kosten  der Kläger.

Der Kläger hat am 21.9.1998 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben.  Wäre die unterbliebene Anhörung nicht durch das Vorverfahren geheilt worden,  hätte sein Widerspruch allein wegen der fehlenden Anhörung in vollem Umfang  Erfolg gehabt. Damit seien die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X  erfüllt und die Beklagte habe die Kosten in vollem Umfang zu tragen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der Widerspruch habe keinen  Erfolg gehabt, weil die Voraussetzungen zur Erteilung der Genehmigung nicht  vorgelegen hätten. Im Übrigen liege ein Verfahrensfehler der fehlenden  Anhörung im Bereich der Ersatz- und Innungskrankenkassen nicht vor, weil der  Kläger insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme vor Rücknahme der Genehmigung  erhalten habe.

Mit Urteil vom 26.4.2000 hat das SG die nachträgliche Kostenentscheidung des  Vorstandes der Beklagten vom 2.9.1998 zum Widerspruchsbescheid vom 14.5.1998  abgeändert und die Kosten des Vorverfahrens der Beklagten voll auferlegt. Die  Beklagte habe entgegen ihrem Vortrag den Kläger nicht vor Erlass des  Rücknahmebescheides vom 21.1.1998 angehört, weil die Verletzung des  verfassungsrechtlich geschützten Anspruches auf rechtliches Gehör dem  Betroffenen - anders als bei den übrigen Verfahrens- und Formverstößen - stets  einen Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsaktes und ordnungsgemäße  Neubescheidung gebe.

Gegen das ihr am 22.5.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19.6.2000  die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Die Beklagte räumt ein, dass der  Kläger vor Erlass des Bescheides vom 29.1.1998 nicht konkret in Bezug auf die  beabsichtigte Rücknahme angehört worden ist. Des Weiteren macht sie geltend,  bei der von ihr zu treffenden Entscheidung habe es sich um eine gebundene  Entscheidung gehandelt, so dass § 42 SGB X maßgeblich sei. § 63 Abs. 1 Satz 2  SGB X verweise jedoch lediglich auf § 41 SGB X, nicht aber auf § 42 SGB X.  Selbst wenn § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X, § 42 SGB X zumindest § 42 Satz 2 SGB X  erfas...

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