Leitsatz (amtlich)

Eine auf der Heimfahrt von der Kaserne verursachte fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c StGB genügt nicht, um den Anspruch auf Ausgleich einer Wehrdienstbeschädigung auszuschließen. Bei der Beurteilung, ob ein Verhalten vorliegt, das den Versorgungsanspruch ausschließen kann, sind auch Umstände aus der Sphäre des Dienstes zu berücksichtigen.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 02. Februar 2004 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin am 14.03.2001 eine Wehrdienstbeschädigung (WDB) erlitten und deshalb Anspruch auf Ausgleich und die Erstattung von Sachschäden und besonderen Aufwendungen hat.

Die 1979 geborene Klägerin ist seit 01.09.1998 Soldatin auf Zeit. Ursprünglich sollte ihre Dienstzeit am 31.08.2002 enden, zwischenzeitlich hat sie sich jedoch für weitere vier Jahre verpflichtet, sodass das voraussichtliche Ende ihrer Dienstzeit der 31.08.2006 ist.

Am 14.03.2001 verursachte die Klägerin gegen 15:20 Uhr einen Verkehrsunfall. Sie fuhr auf der Gemarkung H. über die K 1029 aus Richtung K. in Richtung der B 28, als sie an einer Stopp-Stelle ohne anzuhalten in die B 28 einfuhr und mit einem Fahrzeug, das von rechts kam, zusammenstieß. Die Klägerin zog sich dabei eine Schädelprellung rechts, eine Wadenbeinprellung rechts sowie eine Daumenprellung links zu (Brief des Kreiskrankenhauses H. vom 14.03.2001). An ihrem Fahrzeug, einem VW-Golf, den sie etwa 1 Jahr zuvor für 9.000,- DM gekauft hatte, entstand Totalschaden.

Die Klägerin hatte am Unfalltag gegen 05:00 Uhr morgens ihren Dienst angetreten. Sie hatte zunächst einen Soldaten in W. abzuholen und zum Flugplatz P. zu fahren und anschließend den Oberfeldarzt Dr. U. von der Sanitätsakademie in M. abzuholen und zurück nach C. zu bringen. Insgesamt hatte die Klägerin eine dienstliche Fahrstrecke von 829 km am Unfalltag zu bewältigen. Nach ihrer Rückkehr nach C. fuhr die Klägerin, die sog. „Heimschläferin“ war, nach Hause. Angaben dazu, warum sie die Stoppstelle überfahren hatte, konnte die Klägerin nicht machen. Die vom Beklagten beigezogene Akte der Staatsanwaltschaft Stuttgart (Aktenzeichen 3253 VRs 70 Js 22045/01) enthält die Niederschrift über die Vernehmung des Zeugen A. K. vom 14.03.2001, bei der dieser angab, er habe gesehen, wie die Klägerin an die Kreuzung herangefahren sei und ohne anzuhalten die Stoppstelle überfahren habe. Die Klägerin gab in einem unter dem 23.05.2001 ausgefüllten Fragebogen „Unaufmerksamkeit“ als mögliche Unfallursache an. Gegenüber der Staatsanwaltschaft äußerte sie sich dahingehend, dass ihre Erinnerung an den Unfall ca. 150 m im Bereich einer dort befindlichen Kurve ausgesetzt und erst nach dem Unfall wieder bruchstückhaft vorhanden sei. Möglicherweise habe für ihr Verhalten jedoch eine Rolle gespielt, dass sie einen vollen Arbeitstag hinter sich und berufsbedingt eine erhebliche Fahrstrecke zurückgelegt habe.

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Böblingen vom 30.05.2001 (rechtskräftig seit 16.06.2001) wurde die Klägerin wegen eines Vergehens der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315 c Abs. 1 Nr. 2 a, Abs. 3 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB) und eines Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung gem. §§ 229, 230 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen á 50 DM verurteilt. Die Fahrerlaubnis wurde ihr entzogen. Die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, ihr vor Ablauf von 6 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Nachdem sich die Klägerin mit Schreiben vom 11.12.2001 an den Wehrbeauftragten gewandt hatte, holte die Beklagte von OFA Dr. U. die Stellungnahme vom 16.05.2002 und von Oberstleutnant W. vom Sanitätskommando IV die Stellungnahme vom 12.06.2002 ein. Mit Bescheid vom 12.09.2002 lehnte die Beklagte die Gewährung von Ausgleich nach § 85 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) und Sachschadenerstattung nach § 86 SVG ab. Die bei der Klägerin durch den Unfall am 14.03.2001 eingetretenen Gesundheitsstörungen seien nicht Folge einer WDB im Sinne des § 81 SVG. Die Klägerin habe den Unfall grob verkehrswidrig und rücksichtslos verursacht, indem sie unter Missachtung eines Stoppschildes ohne anzuhalten nahezu ungebremst in die B 28 eingefahren sei. Damit seien nicht die versorgungsrechtlich geschützten allgemeinen Gefahren des Straßenverkehrs, sondern das eigene grob verkehrswidrige und rücksichtslose Verhalten wesentliche Bedingung für den Unfall gewesen. Den „Widerspruch“ der Klägerin wies der Beklagte mit Beschwerdebescheid vom 15.01.2003 zurück.

Dagegen erhob die Klägerin am 06.02.2003 Klage vor dem Sozialgericht Reutlingen (SG). Sie machte geltend, die von ihr begangene fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung habe den versorgungsrechtlichen Schutz auf ihrer Heimfahrt vom Dienst nicht beseitigen können. Dies gelte insbesondere auch, wenn man die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Bereich der gesetzl...

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