Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterngeld. Rücknahme des belastenden Verwaltungsaktes. Rückwirkende Leistungserbringung. Ausschlussfrist. Überprüfung von Amts wegen. Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei einem Überprüfungsverfahren von Amts wegen kommt es für die Ausschlussfrist nach § 44 Abs. 4 SGB X auf den Beginn des Jahres an, in dem der beanstandete Verwaltungsakt tatsächlich zurückgenommen wird, nicht hingegen auf den Zeitpunkt, an dem er hätte zurückgenommen werden können.

 

Normenkette

SGB X § 44 Abs. 4

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 16.03.2017; Aktenzeichen B 10 EG 19/16 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 28.01.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Wege des Überprüfungsverfahrens die Gewährung weiteren Elterngelds anlässlich der Geburt der Zwillinge S. und S. am 18.04.2009.

Der 1977 geborene Kläger ist verheiratet und lebt zusammen mit seiner Frau und den am 18.04.2009 geborenen Zwillingen S. und S. sowie zwei weiteren Kindern.

Auf seinen Antrag bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 05.10.2009 dem Kläger Elterngeld für den 4. und 5. Lebensmonat der Zwillinge (18.07.2009 bis 17.09.2009) unter Berücksichtigung des Mehrlingszuschlags von monatlich 300 €. Rechtsbehelfe gegen diesen Bescheid wurden nicht eingelegt.

Am 14.01.2015 stellte der Kläger einen Ergänzungsantrag auf Elterngeld für Mehrlingskinder. Mit Bescheid vom 15.01.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Nach der neuen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bestehe für jedes Kind einer Zwillingsgeburt ein eigenständiger Elterngeldanspruch. Elterngeld könne für Zeiträume, die länger als vier Jahre zurückliegen, jedoch nicht gewährt werden. Der Zeitraum von vier Jahren werde ab dem 1. Januar des Jahres, in dem der Antrag eingegangen sei, berechnet.

Mit seinem Widerspruch vom 26.01.2015 machte der Kläger geltend, er habe erstmals Ende 2014 von der neuen Rechtsprechung des BSG Kenntnis genommen. Die sechsköpfige Familie könne das Geld wirklich brauchen. In anderen Bundesländern seien die Mehrlingseltern sogar angeschrieben worden. Behörden seien doch zu verfassungsmäßigem Handeln und Gleichbehandlung verpflichtet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 44 SGB X sei ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn bei Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei, soweit deshalb ua Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden seien. Nach § 44 Abs 4 SGB X könne jedoch Elterngeld nur vier Jahre rückwirkend gewährt werden. Bei Antragstellung am 14.01.2015 könne ausgehend vom 01.01.2015 längstens bis zum 01.01.2011 Elterngeld rückwirkend gewährt werden, somit bestehe kein Anspruch.

Hiergegen richtet sich die am 02.03.2015 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage. Zur Begründung hat der Klägerbevollmächtigte ausgeführt, dass die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Kläger auf die geänderte Rechtsprechung und die 4-Jahres-Frist rechtzeitig hinzuweisen. In anderen Bundesländern sei dies geschehen. Deshalb habe die Beklagte treuwidrig gehandelt. Zudem sei der ursprüngliche Verwaltungsakt nach § 43 SGB X umzudeuten.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ausgeführt, dass die 4-Jahres-Frist absolut gelte und nicht im Ermessen der Verwaltung stehe. Eine Wiedereinsetzung nach § 27 SGB X komme nicht in Betracht. Maßgeblich sei damit allein, wann der Kläger den Antrag gestellt habe. Eine Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Verpflichtung zur Information über das BSG- Urteil sei nicht ersichtlich.

Mit Gerichtsbescheid vom 28.01.2016 hat das SG die Klage mit folgender Begründung abgewiesen. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSG 27.06.2013 B 10 EG 8/12 R) stehe entgegen dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 05.10.2009 für jedes Kind, auch bei Zwillingsgeburten, ein eigener Elterngeldanspruch zu. Zwar werde das Elterngeld für den einen Zwilling im Rahmen des anderen Zwilling als Einkommen angerechnet, jedoch verbleibe nachgehend der anrechnungsfreie Betrag iHv 300 € zuzüglich Mehrlingsbonus in Höhe von weiteren 300 € und somit ein Anspruch von 600 €.

Die Überprüfung und Abänderung des Bescheides vom 05.10.2009 scheitere jedoch an der Frist des § 44 Abs 4 SGB X. Der Antrag auf Rücknahme des Bescheides sei am 15.01.2015 gestellt worden. Der Elterngeldbezugszeitraum sei jedoch bereits am 17.09.2009 abgelaufen. Im Zeitpunkt der Antragstellung am 15.01.2015 sei somit die Vierjahresfrist bereits abgelaufen. Der Vortrag des Klägers, dass er eine vorzeitige Antragstellung infolge einer unterlassenen Information durch die Beklagte versäumt habe bzw die Beklagte von sich aus eine Überprüfung des Bescheides hätte einleiten müssen, führe zu keinem anderen Ergebnis. Der Vortrag ziele auf die Geltendmachung eines sozialrechtlichen Herstell...

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