Entscheidungsstichwort (Thema)

Absenkung des Arbeitslosengeld II. Verweigerung Abschluss Eingliederungsvereinbarung. Rechtsstaatsprinzip. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Verletzung des Gebotes der Erforderlichkeit der Sanktion. Ersetzungsbescheid gem § 15 Abs 1 S 6 SGB 2 als milderes Mittel

 

Leitsatz (amtlich)

Die Weigerung, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, rechtfertigt keine Absenkung nach § 31 SGB 2.

 

Orientierungssatz

Im Falle der Weigerung des Arbeitsuchenden, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, eröffnet § 15 Abs 1 S 6 SGB 2 für den Grundsicherungsträger die Möglichkeit, die entsprechenden Regelungen durch Verwaltungsakt festzusetzen. In Ansehung dieser Möglichkeit ist das Beharren des Grundsicherungsträgers gerade auf dem Abschluss einer Vereinbarung iS des § 15 Abs 1 S 1 SGB 2 unverhältnismäßig, weil er dieselbe Rechtsfolge, die rechtsverbindliche Festlegung von Verpflichtungen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, mit einem milderen Mittel, dem Erlass eines Verwaltungsaktes, herbeiführen kann.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Oktober 2009 wird aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Absenkungsbescheides vom 19. Oktober 2007 und unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 19. Oktober 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2007 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01. November 2007 bis zum 31. Januar 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von weiteren 94,- € monatlich zu gewähren.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Absenkung des der Klägerin gewährten Arbeitslosengeldes II um 30 v.H. der Regelleistung zur Sicherung der Lebensunterhalts in der Zeit vom 01.11.2007 - 31.01.2008 und die Höhe der Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für diesen Zeitraum.

Die 1965 geborene Klägerin lebt gemeinsam mit ihrem Ehegatten und ihren beiden 1995 bzw. 2000 geborenen Kindern in einem im Eigentum des Ehegatten stehenden Haus unter der im Rubrum bezeichneten Anschrift. Die Klägerin ist im Umfang von ca. 12 Stunden wöchentlich als Reinigungskraft - geringfügig - erwerbstätig.

Auf einen Antrag vom 11.05.2007 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 05.06.2007 (Änderungsbescheid 24.07.2007) der Klägerin (und den weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft) Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 10.05 - 31.10.2007, wobei er für die Klägerin jeweils einen Regelleistungsbedarf von 311,- € monatlich zu Grunde legte.

Anlässlich einer persönlichen Vorsprache der Klägerin am 03.07.2007 legte der Beklagte der Klägerin eine Eingliederungsvereinbarung vor, in der u.a. niedergelegt war, dass sich die Klägerin verpflichtet, alle Möglichkeiten zu nutzen, um den eigenen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten und an allen Maßnahmen zur Eingliederung mitzuwirken, insbesondere durch eine Teilnahme an einem Bewerbertraining bei der Ifas GmbH in Emmendingen.

Mit Schreiben vom 05.07.2007, bei der Beklagten eingegangen am 06.07.2007, erhob die Klägerin Widerspruch gegen die Eingliederungsvereinbarung. Sie führte hierzu an, sie werde die Eingliederungsvereinbarung nicht unterzeichnen, da sie bereits im ersten Arbeitsmarkt tätig sei und keine Notwendigkeit für integrative Maßnahmen bestehe. Die Maßnahme zur Integration der Ifas beinhalte u.a. die Teilnahme an einem gastronomischen Trainingszentrum mit Elementen des “housekeeping„. Dies sei eine andere Bezeichnung für Hausreinigung, eine Arbeit, in welcher sie gerade beruflich tätig sei. Sie sei deutsche Staatsangehörige und lebe seit 14 Jahren in diesem Land, weswegen die Notwendigkeit der Integration, welche ihr vermittelt werden solle, nicht bestehe. Eine Sprachprüfung habe sie bereits erfolgreich abgelegt. Ihre Arbeitszeit sei zeitlich nicht bestimmt, sie läge in der Regel zwischen 8.30 Uhr und 13.00 Uhr. Um die Maßnahme, die am 18.07.2007 beginne, wahrnehmen zu können, müsste sie ihren bestehenden Arbeitsplatz kündigen bzw. ihre arbeitsvertraglichen Pflichten brechen. Überdies bestünden verfassungsrechtliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt der durch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz geschützten Vertragsautonomie. Am 09.07.2007 übersandte der Beklagte die Eingliederungsvereinbarung neuerlich an die Klägerin.

Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2007 zurück. Zur Begründung führte der Beklagte an, der Widerspruch sei nicht zulässig, da ein solcher nur gegen Verwaltungsakte statthaft sei.

Anlässlich einer persönlichen Vorsprache am 02.10.2007 wurde der Klägerin ein weiterer Entwurf einer Eingliederungsvereinbarung vorgelegt. Hierin war niedergelegt, dass sich die Klägerin verpflichtet, einen Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs vorher mit dem persönlichen Ansprechpartner abzustimmen und alle Möglichkeiten zu nutzen, um den eigenen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestr...

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