Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Kostenersatz durch Erben. Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Arbeitsleben. Leistungen im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen. Übergang von Schadensersatzansprüchen des Leistungsberechtigen auf den Sozialhilfeträger. Verhältnis des Forderungsübergangs nach § 116 SGB 10 zum Kostenersatz durch Erben

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung für einen Kostenersatz nach § 102 SGB XII ist, dass die Sozialhilfeleistungen rechtmäßig erbracht worden sind. Ein möglicherweise erfolgter Übergang von Ansprüchen des Sozialhilfeempfängers auf Schadensersatz gem § 116 SGB X auf den Sozialhilfeträger hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung durch den Sozialhilfeträger.

2. Dem gesetzlichen Forderungsübergang nach § 116 SGB X kommt grundsätzlich kein Vorrang gegenüber der Inanspruchnahme des Erben nach § 102 SGB XII zu.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 27. April 2016 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Inanspruchnahme der Klägerin im Wege des Kostenersatzes als Erbin für die ihrer verstorbenen Schwester S. G. (S. G.) in der Zeit vom 1. Dezember 2008 bis zum 5. September 2010 erbrachten Eingliederungshilfeleistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII).

Die am ... Dezember 1978 geborene S. G. erlitt am 7. April 1998 einen Verkehrsunfall, bei dem sie sich ein apallisches Syndrom, ein schweres Schädelhirntrauma mit polytopen Kontusionen (Prellungen) und Kontusionshämatomen und einen posttraumatischen Hydrozephalus zuzog. Das Landesamt für soziale Dienste Schleswig-Holstein stellte bei ihr einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G, aG, H und RF fest.

Im Juli 2003 beantragte S. G. bei der Beklagten Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG). Im Rahmen dieses Antragsverfahrens reichte sie verschiedene medizinische Unterlagen ein (Bericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. vom 1. Februar 1999; Gutachten des Prof. Dr. M. vom 29. Dezember 1998; Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Schleswig-Holstein vom 17. Februar 1999), aus denen sich ergab, dass die genannten Gesundheitsstörungen Folge des Verkehrsunfalles waren.

Die Beklagte erbrachte ab 1. Januar 2003 zunächst Leistungen nach dem GSiG, ab 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Mit Schreiben vom 20. Februar 2004 bat die Beklagte den seinerzeitigen Betreuer der S. G. um Auskunft hinsichtlich Schadensersatzansprüchen und Rentenansprüchen wegen des Unfalls gegenüber der gegnerischen Haftpflichtversicherung (Bl. 48 der Grundsicherungsakten); eine Reaktion darauf erfolgte nicht. Im Januar 2008 reichte S. G. eine gegenüber der Volksfürsorgeversicherungsgruppe am 31. März 2006 abgegebene “Abfindungserklärung„ mit folgendem Inhalt bei der Beklagten ein: “Gegen Empfang von restlichen 100.000,00 (einhunderttausend) EUR zuzüglich einer lebenslangen monatlichen Schmerzensgeldrente von 500,00 EURO, beginnend ab dem 01.03.2006 sind Schmerzensgeldansprüche, die aufgrund des Schadensfalls vom 17.04.98 gegen

- Herrn K. Z.

- sonstige Dritte

- die Volksfürsorge Deutsche Sachversicherung AG

geltend gemacht werden können, vollständig für jetzt und alle Zukunft abgegolten. Ausgenommen von der Abfindung bleiben lediglich etwaige zukünftige immaterielle Ansprüche, sofern sich weitere, im Zeitpunkt der Unterzeichnung dieser Erklärung weder bekannte noch voraussehbare Unfallfolgen einstellen. Insoweit stellt die Volksfürsorge Deutsche Sachversicherung AG den Geschädigten/die Geschädigte unwiderruflich so, als wäre ein rechtskräftiges Feststellungsurteil mit eine Quote von 100 % ergangen. Bei gesamtschuldnerischer Haftung sind Ersatzansprüche gegen Dritte ausgeschlossen, soweit sie zu einem Regress gegen den Versicherungsnehmer, den Versicherten oder die Volksfürsorge Deutsche Sachversicherung AG führen könnten. Eine Leistung von anderer Seite (z. B. Krankenkasse, Berufsgenossenschaft, Rentenversicherung oder dem Sozialamt) ist weder beantragt noch gezahlt worden, ausgenommen die Zahlungen von

AOK Kranken- und Pflegekasse

Stadt K.

Soweit Leistungen, die vorstehend nicht erwähnt sind, gezahlt sind oder noch gezahlt werden, verpflichte ich mich, diese zurückzuzahlen„.

Unter dem 9. Januar 2008 verfügte die Beklagte, dass das Schmerzensgeld sowie die Schmerzensgeldrente in Höhe von 500,00 € nicht auf die Grundsicherungsleistungen anzurechnen seien, und erbrachte diese weiter an S. G.

Am 1. September 2006 wurde S. G. in die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) der Einrichtung Werkstatt am D. (Einrichtungsträgerin Stiftung D.), die über Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII mit der Beklagten verfügt...

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