Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Hilfebedürftigkeit. Vermögensberücksichtigung. Erbschaft. Unverwertbarkeit wegen angeordneter Dauer-Testamentsvollstreckung. keine Sittenwidrigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Hilfebedürftigkeit, wenn die dem Leistungsempfänger zugefallene Erbschaft unter einer Dauer-Testamentsvollstreckung steht.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. März 2019 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab April 2017 insbesondere unter dem Gesichtspunkt, ob die Hilfebedürftigkeit des Klägers durch ein unter Dauertestamentsvollstreckung stehendes Erbe noch vorliegt.

Verw.-Verfahren

Der 1985 geborene Kläger ist Alkohol-, Cannabis- und tabakabhängig und leidet zudem unter einer paranoid-halluzinatorischen Psychose. Bei dem Kläger ist seit dem 31.3.2016 ein Grad der Behinderung von 60 festgestellt. Nach einer Entwöhnungsbehandlung machte er bis zum 25.4.2017 eine Adaptionsbehandlung im Lebenszentrum E., für dessen Dauer er Leistungen nach dem SGB XII bezog. Danach wurde er in das Betreute Wohnen des Lebenszentrums E. übernommen, wo bis Dezember 2017 Kosten für Unterkunft und Heizung inklusive Haushaltsstrom (von 28 €) in Höhe von 250 € monatlich anfielen. Ab Januar 2018 betrugen die Kosten 300 €. Am ... zog der Kläger nach N. um.

Bereits am 2017 war der Großvater des Klägers, H.E. (im Folgenden: Erblasser) verstorben. Ausweislich seines am 7.4.2015 notariell errichteten Testaments hatte er seine Enkel, den Kläger sowie dessen Brüder P. (geb. 1980) und S. K. (geb. 1982) zu seinen Erben zu je einem Drittel bestimmt und Testamentsvollstreckung durch S. K. angeordnet.

Weiter heißt es in § 7 des Testaments:

„Aufgabe des Testamentsvollstreckers ist

...

c)

die dauerhafte Verwaltung des Erbteils des Enkel F. K. für diesen. Insoweit wird in den Erbteil des F. K. Dauertestamentsvollstreckung angeordnet. Der Testamentsvollstrecker ist hier jedoch berechtigt, einzelne Vermögensgegenstände aus der Testamentsvollstreckung nach seinem billigen Ermessen frei zu geben.“

Nach dem am 25.6.2016 erstellten Nachlassverzeichnis des Testamentsvollstreckers belief sich der Nettonachlassanteil des Klägers auf 165.010,28 €.

Am 21.4.2017 beantragte der Kläger beim Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 16.5.2017 lehnte der Beklagte den Antrag unter Verweis auf fehlende Hilfebedürftigkeit ab. Der Kläger verfüge über verwertbares Vermögen in Höhe von 165.010,28 €, das die Vermögensfreibeträge übersteige.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass das freiwillig durch die Erbschaft zugewendete Vermögen nicht der Absicherung seines existenziellen Grundbedarfs diene, sondern eine über die gesetzlichen sozialhilferechtlichen Ansprüche hinausgehende lebenslängliche Begünstigung seitens seines Großvaters bezwecke. Da er Zuwendungen nur durch seinen Bruder als Dauer Testamentsvollstrecker in dessen Ermessen erhalte, sei er aktuell Mittel- und einkommenslos.

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 3.7.2017 als unbegründet zurück. Es liege kein Behindertentestament vor, da der Kläger weder als Vorerbe eingesetzt noch behindert sei. Unerheblich sei auch, dass ein Testamentsvollstrecker eingesetzt sei. Es seien keine Gründe erkennbar wonach der Kläger gehindert sei, die zur Bestreitung des Lebensunterhalts erforderlichen Mittel vom Testamentsvollstrecker zu erhalten.

SG-Verfahren

Dagegen hat der Kläger am 24.7.2017 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erheben lassen. Zur Begründung wurde unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17.2.2015- -B 14 KG 1/14 R - und den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9.10.2017 - L 7 AS 3528/07 ER-B - ausgeführt, dass der Verwertbarkeit des Erbes als bereite Mittel die Dauertestamentsvollstreckung entgegenstehe. Aus der Berechtigung des Testamentsvollstreckers, einzelne Vermögensgegenstände nach billigem Ermessen freizugeben, ergebe sich jedenfalls kein gesicherter Anspruch des Klägers gegenüber dem Testamentsvollstrecker auf einen bestimmten monatlichen Betrag aus dem Erbe und erst recht nicht eine Verfügbarkeit über das gesamte Erbe. Aus der Anordnung der Testamentsvollstreckung lasse sich ein Wille des Erblassers, den laufenden Lebensunterhalt des Klägers sicherzustellen, nicht erkennen. Andernfalls hätte dieser nicht nur die Möglichkeit der Freigabe einzelner Vermögensgegenstände nach billigem Ermessen des Testamentsvollstreckers bestimmt. Die Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung habe der Erblasser aufgrund der langjährig bekannten Krankheitsentwicklung des Klägers seit seinem 15. Lebensjahr veranlasst.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Ungeachtet dessen, dass mittlerweile die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers anerkannt sei, liege ei...

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