Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Verhältnis von Klagerücknahme, Fortsetzungsstreit und Rechtswegverweisung. Verweisungsbeschluss. Gegenstandslosigkeit bei Klagerücknahme. Fortsetzungsstreit. Verweisung an rechtswegzuständiges Gericht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum Verhältnis von Klagerücknahme, Fortsetzungsstreit und Rechtswegverweisung.

2. Ein Verweisungsbeschluss wird gegenstandslos, wenn der Rechtsstreit sich durch Klagerücknahme erledigt, bevor die Verweisung rechtskräftig wird.

3. Ein Streit darüber, ob der Rechtsstreit erledigt ist oder fortzuführen ist (Fortsetzungsstreit), ist an das rechtswegzuständige Gericht zu verweisen.

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 3. Juni 2022 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Der Kläger (und Beschwerdegegner) hat durch seinen gesetzlichen Betreuer bei dem Sozialgericht (SG) Ulm Klage gegen die beklagte Betreiberin eines Pflegeheims (Beklagte und Beschwerdeführerin) wegen Rückzahlung von 7.209,54 Euro erhoben.

Das SG hat darauf hingewiesen, dass es nicht rechtswegzuständig sei und die Sache an das Landgericht Ulm verweisen wolle, es hat den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Beklagte hat der Verweisung zugestimmt, der Kläger hat Fristverlängerung beantragt und nach Prüfung, zuletzt mit Schriftsatz vom 14. Januar 2022, erklärt: „Ich bitte Sie den Vorgang nicht an das Landgericht weiter zu leiten. Das heißt, ich ziehe meinen Klageantrag beim Sozialgericht zurück. ... Nachdem die Klage beim Landgericht nur mit anwaltlichem Rechtsbeistand erfolgen kann, werde ich die Aussichten auf Erfolg durch einen Anwalt prüfen lassen und gegebenenfalls den Klageantrag durch diesen beim Landgericht einreichen.“

Unter dem 14. April 2022 hat sich für den Kläger ein Bevollmächtigter eingeschaltet und nach Akteneinsicht unter dem 15. Mai 2022 erklärt, eine Klagerücknahme liege nicht vor, der Rechtsstreit sei an das Amtsgericht (AG) zu verweisen, die Klageforderung werde auf 1.825,20 Euro reduziert.

Das SG hat sich mit Beschluss vom 3. Juni 2022 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht (AG) Ulm verwiesen. Eine Angelegenheit, für die nach § 51 SGG die Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gegeben sei, liege nicht vor. Streitigkeiten um Leistungen aus Heimverträgen nach dem HeimG seien den ordentlichen Gerichten zur Entscheidung zugewiesen, aufgrund der Höhe der Forderung und dem Sitz des Beklagten sei das AG Ulm zuständig.

Dagegen hat der Beklagte Rechtswegbeschwerde eingelegt und geltend gemacht. Das SG habe den Rechtsstreit nicht an das AG verweisen dürfen, da dieser sich durch Klagerücknahme erledigt habe. Diese Erledigung stehe der Verweisung entgegen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

festzustellen, dass das Klageverfahren S 1 SV 2713/21 erledigt und der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Ulm vom 3. Juni 2022 gegenstandslos geworden ist.

Der Kläger beantragt,

die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen.

II.

Die statthafte und zulässige Beschwerde der Bf. (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG) ist in der Sache unbegründet und daher zurückzuweisen.

Für Klagen mit dem hier vorliegenden Streitgegenstand, nämlich den Anspruch auf Rückzahlung von Entgelten aus Heimverträgen nach dem Gesetz zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen (Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz - WBVG), ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht gegeben. Es handelt sich nicht um eine Streitigkeit, für die gemäß § 51 SGG oder einer anderen Norm der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet wäre.

Bei der Klage auf Rückzahlung überhöhter Investitionskosten auf der Grundlage eines Heimvertrages handelt es sich weder um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit noch um eine privatrechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der gesetzlichen Kranken- oder Pflegeversicherung. Der Heimvertrag beruht auf § 1 WBVG und regelt die Rechte und Pflichten des Trägers sowie der Bewohner, vor allem die Leistungen des Trägers und das dafür insgesamt zu entrichtende Gesamtheimentgelt (§ 7 Abs. 2 Satz 1 WBVG). Der Heimvertrag ist seinem Wesen nach ein gemischter Vertrag. Rechtsstreitigkeiten aus derartigen Verträgen gehören zu den Angelegenheiten des Zivilrechts und sind an den einschlägigen zivilrechtlichen Normen zu messen (BSG, Urteil vom 9. Februar 2006 - B 3 SF 1/05 R = SozR 4-1500 § 51 Nr. 2 unter Hinweis auf BGHZ 148, 233; 157, 309; BGH, Urteil vom 4. November 2004, NJW 2005, 824, und Urteil vom 3. Februar 2005, NJW-RR 2005, 777).

Für solche zivilrechtlichen Streitigkeiten ist ausschließlich der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben (§ 13 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG). Angesichts der zuletzt geltend gemachten Klageforderung in Höhe von 1.825,20 € fällt der Rechtsstreit in die Zuständigkeit der Amtsgerichte (§§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG). Örtlich zuständig is...

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