Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Erwerbsfähigkeit. Leistungsausschluss. ausländischer Staatsangehöriger bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendbarkeit auf Unionsbürger. Europarechtskonformität. EuFürsAbk. Ausreise. Erlöschen des Aufenthaltsrechts und der Arbeitserlaubnis. Wiedereinreise. gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU 2004. Arbeitsberechtigung iS des § 12a Abs 4 ArGV

 

Leitsatz (amtlich)

1. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iS des § 19 SGB 2 stellen Sozialhilfeleistungen iS des Art 24 Abs 2 EGRL 38/2004 dar, sodass der Ausschluss gem § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 auch bei Bürgern der EU anzuwenden ist.

2. Das Europäische Fürsorgeabkommen des Europarats (juris: EuFürsAbk) steht dem Ausschluss gem § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 rumänischer Staatsangehöriger von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht entgegen.

3. Reist ein Ausländer unter polizeilicher Abmeldung und Auflösung seines Kontos aus Deutschland aus und kehrt er in sein Heimatland zurück, weil er in Deutschland nicht Fuß fassen konnte, beruht die Ausreise nicht nur auf einem seiner Natur nach nur vorübergehenden Grund.

4. Erlischt ein Aufenthaltsrecht iS des AufenthG (juris: AufenthG 2004) durch Ausreise, erlischt damit auch das aus dem Aufenthaltsrecht entspringende Recht zur Ausübung einer Beschäftigung. Dieses lebt alleine durch eine spätere Wiedereinreise in die Bundesrepublik, ohne dass ein neuer Aufenthaltstitel verfügt wurde, auch nicht wieder auf.

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin/ Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 03. Februar 2010 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

2. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

3. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. G. ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt.

 

Gründe

Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 Abs. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), frist- und formgerecht eingelegt (§ 173 S. 2 SGG) und damit insgesamt zulässig.

Die Beschwerde ist auch begründet. Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat den Antragsgegner zu Unrecht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab 10. Januar 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu gewähren. Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist entgegen der Auffassung des SG nicht glaubhaft gemacht.

Prozessuale Grundlage des im vorläufigen Rechtsschutz verfolgten Anspruchs ist § 86b Abs. 2 S. 2 SGG. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung setzt einen jeweils glaubhaft zu machenden (vgl. § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]) Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch voraus. Die Dringlichkeit einer die Hauptsache vorweg nehmenden Eilentscheidung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG (Anordnungsgrund) kann auch bei Leistungen nach dem SGB II in aller Regel nur bejaht werden, wenn wegen einer Notlage über existenzsichernde Leistungen für die Gegenwart und die nahe Zukunft gestritten wird und dem Antragsteller schwere schlechthin unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen würde (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2005 - L 13 AS 4106/05 ER-B). Einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit herbeizuführen, also für die Zeit vor Rechtshängigkeit des Eilverfahrens, ist, von einer in die Gegenwart fortwirkenden Notlage abgesehen, nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern des Hauptsacheverfahrens (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juli 2006 - L 13 AS 1620/06 ER-B - veröffentlicht in Juris). Der Anordnungsanspruch hängt vom voraussichtlichen Erfolg des Hauptsacherechtsbehelfs ab und erfordert eine summarische Prüfung; an ihn sind um so niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen wiegen, insbesondere eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG] in NJW 2003, 1236 f. und Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - veröffentlicht in Juris). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung, hier also der Entscheidung über die Beschwerde (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. auch dazu Senatsbeschluss vom 26. Juli 2006 a.a.O. m.w.N.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen und unter Zugrundelegung der (hier maßgeblichen) Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde hat die Antragstellerin das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs i.S. eines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.S.d. § 19 S. 1 SGB II auf Grundlage ihres Antrages vom 04. Januar 2010, den die Antragsgegnerin mit Bescheid von 20. Januar 2010 abgelehnt hatte, nicht glaubhaft ...

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