Entscheidungsstichwort (Thema)

Untätigkeitsklage nicht grundsätzlich unbegründet bei fehlender Nachfrage nach dem Verzögerungsgrund

 

Orientierungssatz

1. Ist über einen Widerspruch innerhalb von drei Monaten nicht entschieden, so ist die Untätigkeitsklage nach § 88 SGG unabhängig davon zulässig, ob der Widerspruch selbst zulässig ist oder nicht.

2. Die Entscheidung über die Kosten einer erledigten Untätigkeitsklage nach § 193 Abs 1 Satz 3 SGG hängt davon ab, ob die Beklagte zureichenden Grund für die Untätigkeit hatte und diesen Grund dem Kläger mitgeteilt hat, oder ob er ihm bekannt war.

3. In Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, ob der Kläger verpflichtet ist, vor Erhebung einer Untätigkeitsklage nach § 88 SGG nach dem Grund der Verzögerung zu fragen, falls er ihn nicht kennt.

4. Liegen keine erkennbaren Umstände vor, welche eine Verzögerung des Bescheids nahe legen, so muss der Kläger über § 88 SGG hinaus bei der Behörde nicht nach dem Verfahrensstand nachfragen; bei Erledigung des Verfahrens ist die Beklagte nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG zur Kostenerstattung verpflichtet.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 9. September 2004 aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, die im Verfahren S 3 LW 2241/04 vor dem Sozialgericht Reutlingen entstandenen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin wendet sich gegen die Ablehnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten einer Untätigkeitsklage durch das Sozialgericht.

Die am 13. Oktober 1954 geborene Antragstellerin war vom 1. August 1976 bis zum 31. Januar 1991 als landwirtschaftliche Unternehmerin versicherungs- und beitragspflichtig zur landwirtschaftlichen Alterskasse. Seither entrichtet sie freiwillige Beiträge [AS 64 Verw.Akte]. Mit Schreiben vom 23. September 2003, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 24. September 2003 [AS 57 Verw.Akte], fragte die Antragstellerin „wegen familiärer Probleme“ an, ob die Möglichkeit bestehe, die freiwillige Weiterversicherung ruhen zu lassen. Die Antragstellerin fragte weiterhin, welche Auswirkungen dies auf ihr Altersgeld habe und bedankte sich "für eine ausführliche Informationen" im Voraus.

Mit E-Mail vom 29. Oktober 2003 erinnerte die Antragstellerin an ihre Anfrage [AS 58 Verw.Akte]. Die Antragsgegnerin antwortete mit Schreiben vom 17. November 2003 [AS 59 Verw.Akte], dass die Versicherungspflicht spätestens mit Ablauf des Monats ende, in dem die Antragstellerin das 60. Lebensjahr vollendet habe oder Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch eintrete. Da die Antragstellerin das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet habe und keine Unterlagen über eine eventuelle Erwerbsunfähigkeit vorlägen, bestehe weiterhin Versicherungs- und Beitragspflicht. Die Möglichkeit, die Weiterentrichtung ruhen zu lassen, sehe das Gesetz nicht vor.

Mit Schreiben vom 9. März 2004, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 12. März 2004 [AS 61 Verw.Akte], legte die Antragstellerin gegen das Schreiben vom 17. November 2003 Widerspruch ein. Sie verwies darauf, seit 15. November 2000 versicherungspflichtig beschäftigt zu sein und Beiträge an die BfA zu bezahlen.

Am 15. Juli 2004 erhob die Antragstellerin Untätigkeitsklage bei dem Sozialgericht Reutlingen (S 3 LW 2241/04), da über ihren Widerspruch vom 9. März 2004 nicht entschieden worden sei.

Die Antragsgegnerin sah das Schreiben der Antragstellerin vom 9. März 2004, wie in einem Schreiben vom 23. Juli 2004 [AS 62 Verw.Akte] an die Antragstellerin erläutert, als Antrag auf Beendigung der Weiterentrichtung der Beiträge nach § 84 Abs. 2 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) sowie als Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 3 ALG an, da das Schreiben vom 17. November 2003 keinen Verwaltungsakt darstelle. Sie lehnte beide Anträge mit Bescheiden vom selben Tag ab.

In ihrer Erwiderung auf die Untätigkeitsklage vom 29. Juli 2004 verwies die Antragsgegnerin darauf, dass das Schreiben der Antragstellerin vom 23. September 2003 lediglich ein Beratungsersuchen darstelle, welches mit Schreiben vom 17. November 2003 beantwortet worden sei. Dieses Antwortschreiben habe eine schlichte Verwaltungshandlung und keinen Verwaltungsakt dargestellt, wogegen auch kein Widerspruch erhoben werden könne. Erst mit dem Schreiben der Antragstellerin vom 9. März 2004 sei offensichtlich geworden, dass diese eine Befreiung von ihrer Versicherungspflicht begehre. Sie habe diesen Antrag mit den (beiden) Bescheiden vom 23. Juli 2004 beschieden. Das Schreiben vom 9. März 2004 und die Erhebung der Untätigkeitsklage am 15. Juli 2004 könnten nicht als Widersprüche gegen die Entscheidungen vom 23. Juli 2004 gewertet werden, da sie vor dem Erlass der Verwaltungsakte abgegeben worden seien.

Mit zwei Schreiben vom 12. August 2004, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 16. August 2004, legte die Antragstellerin gegen die Bescheide vom 23. Juli 2004 Widerspruch ein [AS 67 68 Verw.A...

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