Orientierungssatz

1. Die Gerichte müssen in einstweiligen Rechtsschutzverfahren, in denen es um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums geht, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen (vgl BVerfG vom 22.11.2002 - 1 BvR 1586/02 = NJW 2003, 1236; BVerfG vom 29.7.2003 - 2 BvR 311/03 = NVwZ 2004, 95). Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden.

2. Alleinstehend iS des § 20 Abs 2 SGB 2 ist, wer volljährig, unverheiratet ist und ohne eine andere Person in seiner Wohnung oder in einer Wohngemeinschaft lebt. Nicht alleinstehend ist, wer mit anderen in einer Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 SGB 2 oder in einer Haushaltsgemeinschaft iS des § 9 Abs 5 SGB 2 lebt.

3. Das Bestehen eines (wirksamen) Mietvertrages zwischen zwei Personen schließt die Annahme einer Haushaltsgemeinschaft aus, weil ein "Wirtschaften aus einem Topf", wie dies für eine Haushaltsgemeinschaft kennzeichnend ist, nicht angenommen werden kann, wenn einer dem anderen Mietzins zahlen muss.

4. Stellt ein Leistungsträger nach dem SGB 2 die Wirksamkeit eines (Unter-)Mietvertrages nicht in Frage, sondern gewährt er den Mietzins als Kosten der Unterkunft, kann er das Zusammenleben zweier Personen auch nicht als Haushaltsgemeinschaft werten. Ob es sich tatsächlich um einen wirksamen Untermietvertrag oder nur um eine Beteiligung an den Mietkosten des anderen handelt, braucht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren jedenfalls dann nicht aufgeklärt zu werden, wenn sowohl die Antragstellerin als auch der Antragsgegner von einem wirksamen Mietvertrag ausgehen.

5. Nach § 41 Abs 1 S 4 SGB 2 sollen die Leistungen jeweils für 6 Monate bewilligt werden. Dieser zeitliche Rahmen kann auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren als Maßstab für eine zeitliche Begrenzung herangezogen werden, wobei eine längere Bewilligung als 6 Monate ab dem Datum der Beschlussfassung des Gerichts kaum in Betracht kommen dürfte, da Hilfebedürftigkeit für einen derart langen Zeitraum im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur in Ausnahmefällen im Voraus wird festgestellt werden können. Dagegen kann es im Einzelfall sachgerecht sein, die Verpflichtung zur Leistungsgewährung nur für einen deutlich kürzeren Zeitraum auszusprechen.

6. Die Gerichte sind nicht berechtigt, Leistungen im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nur darlehensweise zu bewilligen, um eine spätere Rückgängigmachung nicht unnötig zu erschweren (entgegen LSG Stuttgart vom 1.8.2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B = NJW 2006, 719).

7. Soweit der Leistungsträger in Ausführung der Entscheidung des SG dem Hilfebedürftigen höhere Leistungen bewilligt hat, werden die Bescheide, soweit sie nur die gerichtliche Entscheidung ausführen, gegenstandslos, wenn sich im Hauptsacheverfahren ergeben sollte, dass dem Hilfebedürftigen die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugesprochenen Leistungen nicht zustehen. Damit wären die (höheren) Leistungen rechtsgrundlos erbracht worden und könnten vom Antragsgegner unter entsprechender Anwendung des § 50 Abs 2 SGB 10 zurückgefordert werden (vgl OVG Lüneburg vom 24.2.1993 - 4 L 151/92 = FEVS 44, 423 und OVG Münster vom 3.4.1992 - 16 E 363/91 = NWVBl 1992, 368). Dem Leistungsempfänger ist grundsätzlich kein Vertrauensschutz zuzubilligen, da er mit der Aufhebung der einstweiligen Anordnung durch das Beschwerdegericht oder dem Wegfall der einstweiligen Anordnung durch die Entscheidung in der Hauptsache rechnen muss.

 

Tatbestand

Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen eine Entscheidung des Sozialgerichts Ulm (SG), mit der dieses den Antragsgegner verpflichtet hat, der Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim SG anhängigen Klageverfahrens (S 2 AS 1772/05) Arbeitslosengeld II nicht nur - wie vom Antragsgegner bewilligt - in Höhe von 491,08 EUR monatlich zu gewähren, sondern in Höhe von 560,08 EUR. Die Antragstellerin wiederum möchte erreichen, dass das an sie ausgezahlte Kindergeld in Höhe von monatlich 154,- EUR (auch) für die Monate April bis Oktober 2005 nicht bei ihr, sondern bei ihrer Tochter als Einkommen gewertet wird.

Die geborene Antragstellerin wohnte bis zum 31.01.2005 zusammen mit ihrer Tochter W. (W) in L.. Die Ehe mit dem Vater der Tochter ist seit 28.12.2002 rechtskräftig geschieden. Mit Beschluss vom 05.03.2004 hatte das Familiengericht L. die elterliche Sorge für W auf die Antragstellerin alleine übertragen (Az.: 334 F 00169/04). Mit Bescheid vom 20.12.2004 bewilligte die ARGE Stadt L. der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Dabei ging die ARGE von einem Bedarf für die Antragstellerin in Höhe von 536,42 EUR aus. Die Antragstellerin zog am 01.02.2005 nach B. in die Wohnung des Herrn M. K. (K). Auch W. meldete sich zum 01.02.2005 bei der Stadt B. an und gab als Wohnanschrift die Adresse des K. an. ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge