Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverwertbarkeit eines Gutachtens im sozialgerichtlichen Verfahren wegen Überschreitung der Grenze der erlaubten Mitarbeit eines weiteren Arztes am Gutachten. Beurteilung von Schmerzzuständen

 

Orientierungssatz

1. Der Sachverständige muss die zentralen Aufgaben der Begutachtung selbst erbringen (vgl BSG vom 17.4.2013 - B 9 V 36/12 B = SozR 4-1500 § 118 Nr 3). Die Grenze der erlaubten Mitarbeit mit der Folge der Unverwertbarkeit des Gutachtens ist überschritten, wenn aus Art und Umfang der Mitarbeit eines weiteren Arztes gefolgert werden kann, der beauftragte Sachverständige habe seine das Gutachten prägenden und regelmäßig in einem unverzichtbaren Kern von ihm selbst zu erbringenden Zentralaufgaben nicht selbst wahrgenommen, sondern delegiert (vgl BSG vom 5.5.2009 - B 13 R 535/08 B).

2. Die Beurteilung von Schmerzzuständen kann nicht vorrangig einer besonderen fachärztlichen Ausrichtung zugewiesen werden. Für die Qualifikation eines Gutachters hierfür kommt es nicht darauf an, ob er von Haus aus als Internist, Rheumatologe, Orthopäde, Neurologe oder Psychiater tätig ist (vgl BSG vom 9.4.2003 - B 5 RJ 80/02 B).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 28.02.2018; Aktenzeichen B 13 R 279/16 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 12.07.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I. Streitig ist nur noch die Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Die 1967 geborene Klägerin ist s. Staatsangehörige und seit ihrem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland 1992 als Küchenhilfe tätig, aktuell als Buffetkraft in Teilzeit bei einer täglichen Arbeitszeit von 14.30 Uhr bis 19.00 Uhr (vgl. die Angaben der Klägerin, Bl. 71 LSG-Akte).

Die Klägerin durchlief Ende 2008 eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme. Im Reha-Entlassungsbericht der M.-K. B. B. wurden chronisch rezidivierende Cervicobrachialgien bei bekanntem Bandscheibenvorfall C 5/6 linksseitig, eine allgemeine Haltungsschwäche mit Rundrückenbildung sowie ein Verdacht auf Somatisierungsstörung mit ängstlicher Komponente diagnostiziert. Die Klägerin könne die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Küchenhilfe nurmehr in einem zeitlichen Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich ausüben; für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wurde ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr angenommen.

Den Rentenantrag der Klägerin vom Februar 2010 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 01.09.2010 und Widerspruchsbescheid vom 02.11.2010 auf der Grundlage eines von ihr beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. eingeholten nervenärztlichen Gutachtens ab. Dr. M. fand bei der Klägerin keine Hinweise für eine schwere Depression mit Denk- oder Wahrnehmungsstörungen oder für eine hirnorganische oder psychotische Erkrankung. Er diagnostizierte eine Somatisierungsstörung sowie eine Angst und depressive Störung gemischt und erachtete die Klägerin für in der Lage, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sowie die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr auszuüben.

Das am 06.12.2010 angerufene Sozialgericht Konstanz hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Dr. B., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, hat mitgeteilt, das maßgebliche Leiden für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit liege im neurologischen und orthopädischen Bereich. Auf psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachgebiet liege keine Arbeitsunfähigkeit vor. Der Arzt für Orthopädie Dr. K. hat die Klägerin - ebenso wie der Hausarzt Dr. C. - nur noch in der Lage gesehen, vier Stunden täglich zu arbeiten; dieser Zustand bestünde seit erstmaliger Vorstellung in seiner Praxis im Juli 2008.

Daraufhin hat das Sozialgericht ein Gutachten beim Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. eingeholt, der die Klägerin für imstande erachtet hat, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Mit Urteil vom 12.07.2012 hat das Sozialgericht auf dieser Grundlage die Klage abgewiesen.

Gegen das ihr am 20.07.2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20.08.2012 Berufung zum Landessozialgericht (L 10 R 3843/12) eingelegt. Der Senat hat die Berufung auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. H. und dessen, vom Senat eingeholten Stellungnahme mit Beschluss vom 12.08.2013 zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Klägerin hat das Bundessozialgericht den Beschluss des Senats aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Senat zurückverwiesen (Beschluss vom 12.08.2013, B 13 R 325/13 B). Es sei nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach Ermittlung, ob eine Verschlimmerung vorliege, zu einem für die Klägerin günstigen Ergebnis hinsichtlich ihrer in zeitlicher Hinsicht verbliebenen Leistungsfähigkeit gelangt wäre.

Der Senat hat zunächst eine Auskunft des Dr. K. ...

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