Verfahrensgang

AG Ulm (Entscheidung vom 08.03.2010; Aktenzeichen 7 C 1074/09)

AG Ulm (Entscheidung vom 08.02.2010; Aktenzeichen 7 C 1074/09)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 29.04.2011; Aktenzeichen V ZR 174/10)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Ulm vom 08.02.2010-Az. 7 C 1074/09- wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 3000 EUR

 

Gründe

I.

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Der Kl. begehrt mit der Berufung den Rückbau der Terrasse und des Terrassendaches auf dem Grundstück der Bekl. wegen Verletzung des Grenzabstandes.

Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Ergänzungen sind nachfolgend aufgeführt. Der Kläger wendet sich gegen die Abweisung seiner ursprünglichen Klageanträge Z. 3 und 4 und verfolgt diese Anträge mit der Berufung weiter.

Er ist der Auffassung, die Durchsetzung der privatrechtlichen Abstandsvorschriften scheitere nicht an der formellen Rechtsverfolgungsvoraussetzung des § 3 Abs. 3 Satz 2 NRG-BW. Für eine Analogie bei genehmigungsfreien Vorhaben bestehe keine Bedürfnis, zumal es an einer planwidrigen Regelungslücke fehle. Es liege auch keine vergleichbare Interessenlage vor. Der die nachbarrechtlichen Abstandsflächen verletzende Bauherr müsse nicht deshalb geschützt werden, weil eine Divergenz zwischen öffentlich-rechtlicher Genehmigung und zivilrechtlichem Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften vorliege.

Wenn schon § 3 Abs. 3 Satz 2 NRG BW für den Fall, dass eine Angrenzer-benachrichtigung unterbleibe, analog angewandt werde, sei zugleich die Wertung des § 912 BGB heranzuziehen. Ein Ausschluss nachbarrechtlicher Ansprüche könne nur dann gegeben sein, wenn kein Widerspruch erhoben worden sei und die Rechtsverletzung weder vorsätzlich oder grobfahrlässig begangen worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

1.

Der Kläger ist mit einem Anspruch auf Beseitigung der Terrasse und des Terrassenvordaches in entsprechender Anwendung der §§ 4 Abs. 2, 3 Abs. 3 Satz 2 NRG ausgeschlossen. Diese Regelung ist im Falle eines genehmigungsfreien Bauvorhabens, bei dem es keine Angrenzerbenachrichtigung nach § 55 LBO gibt, entsprechend anzuwenden. Damit soll ausgeschlossen werden, dass an Bauwerken, die nicht den Regelungen des NRG entsprechen, nachträglich nur deshalb Änderungen vorzunehmen sind, weil der Bauherr die beabsichtigte Bauausführung nicht hinreichend konkret dem Nachbarn mitgeteilt hat (vgl. Pelka, Das Nachbarrecht in Ba.Wü. 17.Aufl. S. 92). Es handelt sich um einen gesetzlich geregelten Fall der Verwirkung, bei dem es nicht darauf ankommt, ob das Bauvorhaben genehmigungspflichtig ist oder nicht. Für die Frage der Verwirkung ist es unerheblich, ob eine Divergenz zwischen öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften und zivilrechtlichem Nachbarrecht vorliegt. Soweit der Kläger auf den Verstoß gegen die Ulmer Staffelbauordnung hinweist, steht dieser Verstoß einer Anwendung der formellen Rechtsverfolgungsvoraussetzung nicht entgegen, weil die Staffelbauordnung einen geringeren Grenzabstand von 1m vorsieht, während § 4 NRG eine Abstandsfläche von 1,8 m regelt.

2.

§§ 4 Abs. 2, 3 Abs. 3 Satz 2 NRG ist bei verfahrensfreien Vorhaben, die in der Regel die nachbarlichen Interessen weniger schwer beeinträchtigen als genehmigungspflichtige Vorhaben, analog anzuwenden (vgl. Vetter/Karremann/Kahl, Das baden-württembergische Nachbarrecht, 18. Aufl, § 3 Rdnr.7; Bruns, Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg, § 3 Rdnr.22; Pelka, a.a.O.; Birk, Nachbarrecht für Ba.-Wü., 5. Aufl. S. 81). Maßgeblich für die Verwirkung ist, dass der Nachbar bei tatsächlichem Sichtbarwerden (Baufortschritt) eines Verstoßes gegen nachbarschützende Vorschriften keinen Widerspruch einlegt. Diese Voraussetzung hat das Amtsgericht - von der Berufung hingenommen - festgestellt. Der Verwirkungsgedanke ist dabei nicht davon abhängig, ob ein Verstoß gegen den örtlichen Bebauungsplan oder gegen das Nachbarrechtsgesetz vorliegt.

3.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Wertung des § 912 BGB nicht zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. § 912 BGB beinhaltet eine Duldungspflicht des Nachbarn mit einer Widerspruchsregelung (vor oder sofort nach der Grenzüberschreitung). Auch wenn die Beklagten grob fahrlässig die nach der Staffelbauordnung einzuhaltenden Abstände verletzten und § 912 BGB für diesen Fall eine Duldungspflicht ausschließt, regeln §§ 3, 4 NRG für diesen Fall keinen entsprechenden Ausschluss, sondern stellen nur auf die 2 Monatsfrist ab Kenntnis ab. Die in § 912 BGB geregelte Rechtsfolge einer Duldungspflicht streitet nicht im Wege der entsprechenden Anwendung für den eine Beseitigung begehrenden Nachbarn.

4.

Terrasse und Terrassendach sind als Einheit zu betrachten. § 4 NRG regelt aus...

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