Tenor

Dem Antragsteller, Rechtsanwalt W., ist als Verteidiger des Verurteilten M. im Vollstreckungsverfahren Akteneinsicht in das bei der Staatsanwaltschaft Ulm unter dem Aktenzeichen 54 VRs 11 Js 4820/95 geführte Vollstreckungsheft zu gewähren.

Die Kosten aus dem Verfahren betreffend dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung sowie die daraus resultierenden notwendigen Auslagen des Verurteilten werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

Rechtsanwalt W. hat sich unter Vorlage einer Vollmacht vom 15. Mai 2012 für den Verurteilten M. mandatiert und mit Schriftsatz vom 2. Juni 2012 Akteneinsicht in das vorliegende Vollstreckungsheft beantragt. Die beantragte Akteneinsicht wurde durch die Staatsanwaltschaft Ulm abgelehnt und lediglich eine Urteilsausfertigung übersandt. Die Staatsanwaltschaft Ulm vertritt die Auffassung, dass es sich bei dem Vollstreckungsheft um einen innerdienstlichen Vorgang im Sinne der Nr. 186 Abs. 3 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) handele, weshalb keine Akteneinsicht zu gewähren sei. Gegen diese Entscheidung hat der Verteidiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, ohne jedoch die Gründe für sein Akteneinsichtsgesuch darzulegen.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, §§ 147 Abs. 5 Satz 2, 162 analog StPO und hat in der Sache Erfolg. Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers erstreckt sich zumindest im vorliegenden Fall auch auf das Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft Ulm.

Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Artikel 103 Abs. 1 GG folgt das Recht des vom Strafverfahren Betroffenen auf Akteneinsicht durch seinen Verteidiger (Lüderssen/Jahn in Löwe Rosenberg (LR) StPO, 26. Aufl., § 147 RNr. 4). Der Anspruch auf Akteneinsicht besteht im gesamten Verfahren, auch nach dessen rechtskräftigem Abschluss (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 147 RNr. 10f). sofern nicht gesetzlich geregelte Beschränkungen greifen, etwa § 147 Abs. 2 Satz 1 StPO, oder Verwaltungsvorschriften die Akteneinsicht beschränken, etwa § 42 Abs. 2 Satz 2 der Anordnung des Justizministeriums Baden-Württemberg über das Verfahren in Gnadensachen,

Kein Recht auf Einsicht besteht dagegen in Bezug auf Schriftstücke, die nicht Aktenbestandteil sind (zum Aktenbegriff des § 147 StPO vgl. statt aller: Lüderssen/Jahn in LR, aaO, Rdnr. 23f). Kein Bestandteil der Akten sind etwa die Senatshefte der Oberlandesgerichte oder des Bundesgerichtshofs sowie auch die Handakten der Staatsanwaltschaft (Nr. 186 Abs. 1 RiStBV; Lüderssen/Jahn in LR, aa0, RNr. 31). Zu den Handakten zählen etwa Berichte an vorgesetzte Stellen, Entwürfe und Weisungen oder Anregungen zur Sachbehandlung durch vorgesetzte Stellen, Sachstandsanfragen unbeteiligter Dritter, oder ähnliches (Stuckenberg in LR, aa0, § 199 RNr. 25), soweit sie sich nicht unmittelbar auf den Gegenstand des Strafverfahrens beziehen.

Im Vollstreckungsheft werden alle, die Strafvollstreckung betreffenden Vorgänge, Anträge, Mitteilungen oder Beschlüsse zusammengefasst, unabhängig davon, ob diese Unterlagen auch zu den Hauptakten zu nehmen sind. Einzig das Vollstreckungsheft gibt zuverlässige Auskunft über Gang und aktuellen Stand des Vollstreckungsverfahrens. Das Recht des Verteidigers im Vollstreckungsverfahren auf Akteneinsicht in das Vollstreckungsheft zur Vorbereitung sachdienlicher Anträge für den Fall der laufenden Unterbringung nach § 63 StGB ist anerkannt (OLG Zweibrücken NStZ-RR 2005, 355; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27. Juli 2006, 1 Ws 273/06 - zitiert nach [...] -; OLG Hamm NStZ-RR 2003, 159), ebenso für den Fall des Widerrufs einer zuvor bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung durch eine Strafvollstreckungskammer (OLG Hamm StV 2004, 96).

Nichts anderes kann für das Vollstreckungsheft im vorliegenden Falle gelten. Von der weiteren Vollstreckung der im Jahre 1997 ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten wurde bereits mit Verfügung vom November 1999 gemäß § 456a Abs. 1 StPO abgesehen und der Verurteilte abgeschoben. Seither besteht für den Fall der Rückkehr seine Ausschreibung zur Festnahme. Der die Akteneinsicht beantragende Verteidiger hat sich erst im Vollstreckungsverfahren im Mai 2012 mandatiert. Nur mit Kenntnis von Gang und Stand der Vollstreckung ist vorliegend eine vernünftige Prüfung möglicher Anträge im Vollstreckungsverfahren - 13 Jahre nach dem Absehen der weiteren Vollstreckung - möglich. Aus diesen Gründen war Akteneinsicht in das Vollstreckungsheft jedenfalls im vorliegenden Fall zu gewähren.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 473 StPO.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar, § 147 Abs. 4 Satz 2 StPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 4022689

StV 2012, 736

StraFo 2012, 378

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