Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenzverfahren: Persönliche Haftung des Insolvenzverwalters für Wohngeldverbindlichkeiten bei unterlassener Verwertung

 

Orientierungssatz

Hat der Insolvenzverwalter eine Eigentumswohnung des Schuldners mangels Auflassung nicht wirksam veräußert bzw. nicht die Freigabe erklärt, so haftet er für die Wohngeldverbindlichkeiten auch dann persönlich, wenn er Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte.

 

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 6.061,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit 25.10.2005 zu bezahlen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: € 6.061,00

 

Tatbestand

Die Klägerin, eine Wohnungseigentümergemeinschaft, nimmt den Beklagten, seit 29.05.2002 Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Bauträgergesellschaft, die Eigentümerin dreier Wohnungen war, auf Schadensersatz wegen Nichtzahlung von Wohngeld in Anspruch.

Die Schuldnerin hatte mit Vertrag vom 04.02.2000 (Bl. 10/K1) die Wohnungen verkauft, ohne dass - mangels vollständiger Kaufpreiszahlung - die Auflassung erfolgt ist. Der Käufer hatte die Wohnungen in Besitz, ohne dass an die Klägerin Wohngeld bezahlt wurde. Eine Zahlungsklage gegen den Käufer wurde mangels Passivlegitimation abgewiesen. Seit Anzeige der Masseunzulänglichkeit am 26.08.2002 bis zur Löschung des Insolvenzvermerks im Grundbuch am 19.11.2004 sind Rückstände aus Wohngeld und Sonderumlagen aufgelaufen in Höhe von insgesamt ca. € 40.000,00, für das Jahr 2004 € 6.612,00, unter Abzug von 1/12 (= € 551,00) für Dezember 2004 € 6.061,00.

Die Klägerin trägt vor, bei den Wohn- und Hausgeldverbindlichkeiten handele es sich um Neumasseschulden nach § 55 InsO, die vom Beklagten zuerst bedient werden müssten. Wenn ihm dies nicht möglich gewesen sei, habe er die Wohnungen nicht so lange in der Masse halten dürfen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie € 6.061,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Klagerhebung zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Kläger abzuweisen.

Er trägt vor, er habe keine insolvenzspezifische Pflicht verletzt, die nicht bezahlten Masseverbindlichkeiten habe er nicht durch eine Rechtshandlung begründet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Beklagte ist der Klägerin gem. § 61 InsO zum Schadensersatz verpflichtet.

Bei den streitgegenständlichen Wohngeldansprüchen handelt es sich um Neumasseschulden (§ 55 Nr. 1 InsO) aus einem Dauerschuldverhältnis, welche nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu befriedigen sind. Zwar wurden die Wohngeldansprüche schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, der Beklagte hat das Dauerschuldverhältnis aber nicht zum nächstmöglichen Zeitpunkt beendet, nachdem er die Masseunzulänglichkeit erkannt hatte. Die Masseschuld ist entstanden aus einer Unterlassung des Beklagten, nämlich daraus, dass er die Beteiligung der Schuldnerin an der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht gelöst hat und nicht durch Veräußerung der zur Masse gehörenden Anteile aus der Gemeinschaft ausgeschieden ist. Dass eine Unterlassung eine Handlung i.S.d. § 55 InsO ist, ist anerkannt und war es bereits unter der Geltung des § 59 Nr. 1 KO. Masseschulden sind alle Verbindlichkeiten, die der Beklagte im Verkehr mit Dritten begründet und die keine Massekosten sind, vorausgesetzt, dass durch das Handeln oder Unterlassen eine bis dahin nicht vorhandene Haftung der Masse entsteht. Die Wohngeldansprüche sind entstanden durch die Entscheidung des Beklagten, die er im Rahmen seines Amtes als Insolvenzverwalter getroffen hat, die Wohnungen in der Masse zu halten (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1970, 1137 f m.w.N.).

Dass neu entstehende Wohngeldansprüche Masseverbindlichkeiten sind, wird ersichtlich überwiegend vertreten (vgl. Braun, InsO, 2. Auflage 2004, Rd. 7 zu § 55; Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Auflage, 2003, Rd. 158 zu § 28; Hefermehl in Münchener Kommentar, InsO, Rd. 81 zu § 55; OLG Düsseldorf a.a.O.).

Der Beklagte haftet für Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten nach § 61 InsO gegenüber den Massegläubigern persönlich, denn er ist verpflichtet, nur solche Masseverbindlichkeiten zu begründen, die auch aus der Masse erfüllt werden können. Nach § 61 InsO kann er sich nur exkulpieren, wenn er bei Begründung der Verbindlichkeiten nicht erkennen konnte, dass die Masse zur Erfüllung nicht ausreichen werde.

Nach alledem war der Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 709 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1732715

Rpfleger 2006, 222

Info M 2005, 308

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