Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylrecht. verbotener Grenzübertritt. Zurückschiebung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der verbotene Grenzübertritt allein vermag nicht den gemäß § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 Aufenthaltsgesetz erforderlichen Verdacht zu begründen, dass sich der betroffene Ausländer der Abschiebung entziehen will.

2. Das Gebot der Rechtssicherheit verbietet eine extensive Auslegung des § 14 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 Asylverfahrensgesetz über seinen Wortlaut hinaus. Es kann deshalb nicht nachträglich fingiert werden, dass zum Zeitpunkt der Haftanordnung durch das Amtsgericht auch der Haftgrund des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 Aufenthaltsgesetz vorgelegen hat.

 

Normenkette

AufenthG § 57 Abs. 3, § 62 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1, 5; AsylVerfG § 14 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 4, § 26a Abs. 2, § 55 Abs. 1 S. 3

 

Verfahrensgang

AG Saarbrücken (Beschluss vom 31.10.2010; Aktenzeichen ZBG-AR 1645/10)

 

Tenor

Der Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken – Zentrales Bereitschaftsgericht für das Saarland – vom 31.10.2010 – ZBG-AR 1645/10 – wird aufgehoben.

 

Tatbestand

A.

Der Betroffene ist afghanischer Staatsangehöriger, der am 30.10.2010 in dem ICE Paris – Frankfurt/Main ohne Reisepass und Visum nach Deutschland eingereist ist.

Das Amtsgericht Saarbrücken – Zentrales Bereitschaftsgericht für das Saarland – hat nach vorheriger persönlicher Anhörung des Betroffenen auf Antrag der Bundespolizeidirektion Koblenz, vertreten durch die Bundespolizeiinspektion Bexbach, durch Beschluss vom 31.10.2010 angeordnet, dass der Betroffene bis zum 29.01.2011 in Zurückschiebungshaft zu nehmen ist.

Das Amtsgericht hat ausgeführt, der Betroffene sei gemäß § 14 Aufenthaltsgesetz unerlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig.

Es bestehe der Zurückschiebungshaftgrund der §§ 57 Abs. 3 in Verbindung mit 62 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz.

Die beantragte Freiheitsentziehung sei zur Sicherung der Zurückschiebung erforderlich, weil der Betroffene ohne Vollzug der Haft im Bundesgebiet untertauchen würde.

Der Betroffene habe diese Absicht durch den verbotenen Grenzübertritt schlüssig kund getan.

Die Haft sei damit das einzige geeignete Mittel, um sicher zu stellen, dass der Betroffene außer Landes gebracht werden könne.

Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene am 25. November 2010 Beschwerde eingelegt, mit der er geltend macht, er habe durch Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 24.11.2010 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg Asyl beantragt.

Der Betroffene beantragt,

den Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 31.10.2010

aufzuheben.

Die Zentrale Ausländerbehörde des Saarlandes beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der Beschwerdeführer sei unerlaubt nach Deutschland eingereist. Deshalb sei der Haftgrund des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz gegeben. Ebenso liege bei dem Beschwerdeführer der Haftgrund des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 Aufenthaltsgesetz vor.

In dem Haftantrag sei ausgeführt, dass die Freiheitsentziehung erforderlich sei, weil der Beschwerdeführer ohne Vollzug der Haft untertauchen werde. Dies führe auch das Amtsgericht Saarbrücken in seinem Beschluss vom 31.10.2010 aus.

Der Beschwerdeführer habe bereits in Ungarn um Asyl nachgesucht.

Da er Ungarn unerlaubt verlassen habe, sei zu befürchten, dass er ein ähnliches Verhalten auch in Deutschland zeigen werde, sobald feststehe, dass er hier kein Bleiberecht erhalte.

Die für den 01.12.2010 vorgesehene Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ungarn sei im Hinblick auf den Asylantrag vom 24.11.2010 unterblieben.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie der erkennenden Kammer zur Entscheidung vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

B.

Die gemäß §§ 106 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz, 58, 59 FamFG zulässige Beschwerde des Betroffenen ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts Saarbrücken.

1.

Der Aufenthalt des Betroffenen in Deutschland ist aufgrund seines Asylantrages vom 24.11.2010 gestattet (vgl. §§ 55 Abs. 1 S. 3, 26 a Abs. 2, 14 Abs. 2 Nr. 2, 14 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 Asylverfahrensgesetz), so dass die gegen ihn verhängte Abschiebungshaft nicht aufrecht erhalten werden darf.

2.

Der Betroffene ist von Frankreich aus, einem sicheren Drittstaat im Sinne des § 26 a Asylverfahrensgesetz nach Deutschland eingereist. Deshalb hat er die Aufenthaltsgestattung gem. § 55 Abs. 1 S. 3 Asylverfahrensgesetz erst durch seinen förmlich gestellten Asylantrag erworben. Der Asylantrag ist am 24.11.2010 bei dem gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 Asylverfahrensgesetz zuständigen Bundesamt aus der Haft heraus gestellt worden.

3.

Der Asylantrag ist innerhalb der gemäß § 14 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 Asylverfahrensgesetz maßgeblichen Monatsfrist gestellt worden. Der Betroffene ist am 30.10.2010 nach Deutschland eingereist. Die Antragstellung erfolgte am 24.11.2010.

Die Anordnung der Sicherungshaft ist – entgegen der Auffassung der Ausländerbehörde – nur nach § 62 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz, nicht jedoch nach § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 Aufenthaltsgesetz erfolgt.

In dem Beschluss vom 31.10.2010 ist...

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