Leitsatz (amtlich)

§ 765a ZPO; § 850k ZPO; §§ 54, 55 SGB I; § 833a ZPO; § 850l ZPO

Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO kann nur im Ausnahmefall gewährt werden. Ein solcher Ausnahmefall kann gegeben sein, wenn dem Pfändungsschutzkonto des Schuldners am Monatsende Sozialleistungen gutgeschrieben werden, die der Sache nach für den kommenden Monat gewährt werden sollen und wirksamer Pfändungsschutz deshalb nicht nach § 850k ZPO erreicht werden kann. Sollte sich diese Fallgestaltung wiederholen, wird mehrfach wiederholter Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO regelmäßig nicht in Betracht kommen. Dies gilt vor allem dann, wenn der Schuldner Pfändungsschutz nach §§ 54, 55 SGB I, § 833a ZPO oder § 850l ZPO erlangen kann.

 

Normenkette

ZPO §§ 765a, 850k; SGB I §§ 54-55; ZPO §§ 833a, 850l

 

Verfahrensgang

AG Kassel (Entscheidung vom 10.02.2011; Aktenzeichen 630 M 100/11)

 

Tenor

Der Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 10.02.2011 wird abgeändert.

Die Zwangsvollstreckung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Kassel vom 30.11.2005 (Az. 620 M 7652/05) wird hinsichtlich des Betrages von 687,23 EUR, der dem bei der Drittschuldnerin geführten Konto "..." der Beschwerdeführerin am 30.12.2010 gutgeschrieben worden ist, aufgehoben.

Die Gläubiger haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf 687,23 EUR.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Im Rahmen der von den Gläubigern betriebenen Zwangsvollstreckung erließ das Amtsgericht am 30.11.2005 (im Verfahren AG Kassel Az. 620 M 7652/05) einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, der sich auf die vermeintlichen Ansprüche der Beschwerdeführerin gegen die eingangs bezeichnete Drittschuldnerin erstreckt. Dort unterhält die Beschwerdeführerin das Pfändungsschutzkonto mit der Nr. "...". Die Beschwerdeführerin bezieht nach dem Bescheid der Arbeitsförderung "..." (AFK) vom 08.11.2010 (Bl. 4 ff. d.A.) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von derzeit monatlich 687,23 EUR.

Am 27.01.2011 hat die Beschwerdeführerin um Vollstreckungsschutz nach Maßgabe von § 765a ZPO nachgesucht. Zur Begründung hat sie darauf verwiesen, dass dem Konto für den Monat Dezember 2010 zwei Zahlungen gutgeschrieben worden seien, wobei der zweite Zahlungseingang das Einkommen für den Monat Januar 2011 darstelle. Nach Anhörung der Gläubiger hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 10.02.2011, auf den Bezug genommen wird (Bl. 16 f. d.A.), den Antrag der Beschwerdeführerin zurückgewiesen.

Dagegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrem Rechtsmittel vom 18.02.2011 (Bl. 19 d.A.). Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel am 21.02.2011 nicht abgeholfen und die Verfahrensarten der Kammer zur Entscheidung vorgelegt. Die Gläubiger verteidigen die angefochtene Entscheidung.

Der Einzelrichter hat das Verfahren durch Beschluss vom 30.03.2011 der Kammer zur Entscheidung übertragen.

II.

Die Beschwerde ist gemäß §§ 567 I Nr. 1, 793 ZPO statthaft und form- und fristgerecht bei Gericht eingegangen, § 569 ZPO. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Nach § 765a ZPO kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung auf Antrag des Schuldners ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn mit ihr unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte verbunden ist, die sich mit den guten Sitten nicht vereinbaren lässt. Dabei handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift, die trotz des scheinbar eingeräumten Ermessens eng auszulegen ist (vgl. BGH NJW 1965, 2107 (2108); OLG Celle OLGR 1994, 306 (307); OLG Hamm Rpfleger 2002, 39). Weder allgemeine wirtschaftliche Erwägungen noch soziale Gesichtspunkte gestatten deshalb für sich allein eine Schutzanordnung (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 28. Auflage § 765a Rn. 5). Vielmehr kommt es darauf an, ob das Vorgehen des Gläubigers im konkreten Einzelfall zu einem ganz untragbaren Ergebnis führen würde. Die mit jeder Zwangsvollstreckung üblicherweise verbundenen Härten hat der Schuldner dagegen hinzunehmen.

Danach war dem Rechtsmittel der Erfolg nicht zu versagen und der Beschwerdeführerin antragsgemäß Vollstreckungsschutz zu gewähren.

Nach dem vorgelegten Bescheid der Arbeitsförderung "..." vom 08.11.2010 bezieht die Beschwerdeführerin monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von insgesamt 687,23 EUR. Durch Vorlage einer "Umsatzanzeige" für die Zeit vom 01.11.2010 bis 03.01.2011 hat sie darüber hinaus belegt, dass dem in Rede stehenden Konto weitere Gutschriften nicht zufließen. Des Weiteren folgt aus dem angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts, dass der Zahlungseingang vom 30.11.2010 - gleichfalls in Höhe von 687,23 EUR - durch eine vorangegangene Entscheidung des Amtsgerichts nach Maßgabe von § 765a ZPO so behandelt worden war, als wäre er dem Konto - erst - am 01.12.2010 gutgeschrieben worden. Jene Entscheidung hat das Amtsgericht ersichtlich deshalb getroffen, weil die Unterstützungsleistunge...

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