Leitsatz (amtlich)

In Verfahren wegen sog. Startgutschriften der Zusatzversorgung des Öffentlichen Dienstes (VBL) kann die klagende Partei im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 91 a ZPO auch nach einer Betriebsrentenmitteilung der Zusatzversorgungskasse nach Treu und Glauben mit den durch eine Anrufung des Gerichts anfallenden Kosten des Verfahrens belastet werden, wenn die auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 174, 127) abzugebende Unverbindlichkeitserklärung vorgerichtlich nicht angefordert worden ist.

 

Normenkette

ZPO § 91 a

 

Tenor

  • 1.

    Von den Kosten des Verfahrens hat die Klägerin 43% und hat die Beklagte 57% zu tragen.

  • 2.

    Der Streitwert wird auf 6.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war gemäß § 91 a ZPO über die Kosten des Rechtsstreits nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden.

Danach entsprach es billigem Ermessen, die Kosten wie aus dem Tenor ersichtlich verhältnismäßig zu teilen.

I.

Die im öffentlichen Dienst beschäftigte Klägerin wendet sich mit ihrer Klage nach Umstellung der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst von einem Gesamtversorgungssystem auf ein Punktesystem gegen die ihr von der beklagten Zusatzversorgungseinrichtung erteilte Startgutschrift für eine rentenferne Person.

Die Klägerin erhielt auf der Grundlage der neuen Satzungsbestimmungen der Beklagten eine Mitteilung über eine Startgutschrift über 55,85 Versorgungspunkte (Neuberechnung vom 30. März 2010)- AH 43 - 63). Mit Mitteilung vom 31. März 2010 wurde ihre Betriebsrente für Versicherte auf der Grundlage dieser Startgutschrift mit EUR 236,68 berechnet (AH 1 - 41). In der Mitteilung vom 30. März 2010 wurde die Klägerin auf die Ausschlussfrist des § 78 Abs. 3 der Satzung (im Folgenden: VBLS) und in der Mitteilung vom 31. März 2010 auf die Aussschlussfrist des § 52 VBLS und die Möglichkeit einer Klage hingewiesen. Ein Hinweis auf eine Unverbindlichkeit dieser Mitteilungen wegen der in den Jahren 2007 ff. ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. u.a. BGHZ 174, 127-179 = BetrAV 2008, 203-213 = NVwZ 2008, 455-468) zu sog. rentennahen Jahrgängen, zu denen die am 29. Januar 1947 geborene Klägerin gehört (vgl. § 79 Abs. 2 Satz 1 VBLS), erfolgte in diesen Mitteilungen jedoch nicht.

Die Klägerin hat die Beklagte nicht vorgerichtlich aufgefordert, sich zur Unverbindlichkeit der Startgutschrift vom 30. März 2010 zu äußern.

Mit der am 25. Mai 2011 erhobenen Klage wurde von der Klägerin die Feststellung begehrt, dass die von der Beklagten gemäß ihrer Satzung erteilte Startgutschrift den Wert der von der Klägerin bis zum 31. Dezember 2001 erlangten Anwartschaft auf eine bei Eintritt des Versicherungsfalles zu leistende Betriebsrente nicht verbindlich festlegt.

Mit Schriftsatz vom 18. Juli 2011 (AS 15 ff.) gab die Beklagte folgende Erklärung ab:

"Die Beklagte behandelt die der klagenden Partei auf der Grundlage des § 79 Absatz 1 VBLS mitgeteilte Startgutschrift als unverbindlich."

Die Parteien erklärten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt (Klägerschriftsatz vom 4. August 2011 - AS. 25 - und Beklagtenschriftsatz vom 15. August 2011 - AS. 33).

II.

Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls hält es das Gericht für billig und angemessen, die Kosten des Rechtsstreits verhältnismäßig zu teilen.

Im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 91a ZPO ist anerkannt, dass grundsätzlich der ohne die Erledigung - hier: materiellrechtliche Erklärung im Schriftsatz vom 18. Juli 2011 - zu erwartende Verfahrensausgang bei der Kostenentscheidung den Ausschlag gibt (vgl. Zöller; ZPO, 27. Auflage, § 91a; Rd.-Nr. 24). Hätte die Beklagte indes diese materiell rechtliche Erklärung, die das Feststellungsinteresse entfallen lässt (vgl. etwa die Urteile des LG Karlsruhe vom 06.03.2009 - 6 O 330/03 und 6 O 235/08 - jeweils veröffentlicht in [...]), nicht abgegeben, wäre sie im Urteil unterlegen, da die Klage zulässig und begründet war (vgl. BGH, Urteil vom 14.11.2007 - IV ZR 74/06).

Die Beklagte hat vor Prozessbeginn Veranlassung zur Klage gegeben, so dass § 93 ZPO, der der klagenden Partei im Falle seiner Anwendbarkeit die vollen Kosten des Rechtsstreits auferlegen würde und dessen Rechtsgedanken im Rahmen des § 91a ZPO grundsätzlich berücksichtigt werden kann, hier keine Anwendung findet.

Die Startgutschrift wurde von der Klägerin zwar nicht vorgerichtlich beanstandet. Hier hatte die Beklagte indessen durch die Mitteilung vom 31. März 2010 Anlass zur Klageerhebung gegeben. Auch sie stellt nicht in Abrede, dass die dort mitgeteilte Rentenhöhe auf der Startgutschrift beruht, die nach der Grundsatzentscheidung BGHZ 174, 127 die durch die Klägerin errechnete Rentenanwartschaft nicht verbindlich festlegt. Da die Beklagte in der Rentenmitteilung vom 31. März 2010 auf diese Unverbindlichkeit nicht hinwies, sondern eine Rechtsmittelbelehrung erteilte, in der sie ohne jede Einschränkung auf die Klageerhe...

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