Entscheidungsstichwort (Thema)

Freiwerden des Mieters von der Verpflichtung zur Schneeräumung

 

Leitsatz (amtlich)

(abgedruckt in Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)

Der Mieter wird von seiner vertraglich übernommenen Verpflichtung, den Gehweg im Winter von Schnee und Eis zu reinigen frei, wenn er sie unverschuldet - hier: aus gesundheitlichen Gründen - nicht mehr in Person erfüllen kann. Er schuldet nicht die Stellung einer Ersatzkraft.

 

Tatbestand

(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)

Mit Mietvertrag v. 13.4.1961 vermieteten die Rechtsvorgänger des Beklagten den Klägern eine Wohnung in Hamburg. In § 8 Abs. 2 des Mietvertrages heißt es: "Der Mieter des Erdgeschosses übernimmt die Wegereinigung (Streupflicht) und verpflichtet sich, die öffentlich-rechtliche Verpflichtung gegenüber der Polizeibehörde zu übernehmen, soweit nicht der Vermieter die Reinigungspflicht ausdrücklich übernommen hat".

Nachdem die Kläger dieser Verpflichtung 25 Jahre lang nachgekommen waren, teilten sie dem Beklagten mit Schreiben v.19.9.1986 erneut mit, daß sie beide aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage seien, die Winterreinigung auszuführen. Sie baten um Entbindung aus der Wegereinigungspflicht. Da der Beklagte dies verweigerte, haben sie mit ihrer Klage v. 22.1.1987 die Feststellung begehrt, daß ihre Streupflicht entfallen ist. Zur Vermeidung von Haftungsfolgen beauftragten sie ein gewerbliches Reinigungsunternehmen, das ihnen je Wintersaison DM 421,80 in Rechnung stellte.

Nach Einholung eines medizinischen Gutachtens und der Anhörung des Sachverständigen zum Gesundheitszustand der Kläger traf das AG die beantragte Feststellung, die im Wege der Berufung vom Beklagten angegriffen wird.

 

Entscheidungsgründe

Der Beklagte wendet sich ohne Erfolg gegen die Feststellung des AG, daß die Kläger aufgrund ihres angegriffenen Gesundheitszustandes von der Verpflichtung zur Wegereinigung, d.h. hier der Schneeräumung und Eisbeseitigung, frei geworden sind.

Es bestehen bereits erhebliche Bedenken, ob die Klausel gem. § 8 Abs. 2 des Mietvertrages der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG standhält, die nach § 28 Abs. 2 AGBG auch bei diesem Altvertrag möglich ist. Es könnte ein Verstoß gegen das Transparenzgebot (zum Begriff vgl. Ulmer/Brandner/Hensen AGBG 5.A. § 9 Rn. 77) vorliegen, da der Inhalt der Bestimmung dem Vertragspartner insbesondere deren haftungsrechtliche Folgen nicht deutlich macht. Einer Vorlage gem. Art. 3 des 3. MietRÄndG i.d.F.d.G.v. 5.6.1980 (BGBl. I S. 657) an das OLG Hamburg bedarf es trotz der naheliegenden Divergenz zum Urteil des OLG Frankfurt v. 22.9.1988 (WM 1988, 399) nicht.

Die Kläger sind nämlich jedenfalls nach § 275 BGB von ihrer Leistungspflicht frei geworden. Ihnen ist die Erfüllung der in § 8 Abs. 2 des Mietvertrages beschriebenen Verpflichtung wegen eines Umstandes, der nach Vertragsabschluß in ihrer Person eingetreten ist und den sie nicht zu vertreten haben, unmöglich geworden (§ 275 Abs. 2 BGB). Die Kläger schuldeten eine Dienstleistung, auf welche die gesetzliche Auslegungsregel des § 613 BGB zumindest entsprechend anzuwenden ist. Sie hatten daher ihre Verpflichtung zur Schneebeseitigung und Eisbeseitigung nur soweit und solange zu erfüllen, wie sie dazu in Person in der Lage waren.

1. Feststellungen zu Unmöglichkeit oder Unvermögen setzen begriffsnotwendig voraus, zunächst den Inhalt der geschuldeten Leistung zu bestimmen. Soweit sie einer der gesetzlich vorgegebenen Vertragstypen entspricht, sind die hierzu ergangenen Bestimmungen maßgeblich, soweit nicht in zulässiger Weise Abweichungen vertraglich vereinbart wurden. Ausführungen dazu, ob es sich um höchstpersönliche Leistungen handelt oder nicht, sind in diesem Prüfungsstadium nur von sekundärer Bedeutung. Die in § 8 Abs. 2 Mietvertrag übernommene Verpflichtung der Kläger ist als Dienstleistung zu qualifizieren.

a) Nach § 29 HWegeG (GVBl. 1974 S. 41, 83) sind die Anlieger zur Reinigung der Gehwege der öffentlichen Wege verpflichtet. Nach § 33 HWegeG umfaßt diese Verpflichtung auch die Reinigung von Schnee und Eis. § 33 Abs. 2-5 HWegeG regeln, wie und wann die Reinigung von Schnee und Eis zu erfolgen hat. Die Regelung in § 8 Abs. 2 Mietvertrag dient der Entlastung des Anliegers von der tatsächlichen Erfüllung der durch Landesgesetz vorgeschriebenen Tätigkeiten (vgl. Fuchs-Wissemann WM 1988, 377, 379; Sternel Mietrecht 3.A. II 97). Die Kläger übernahmen daher schon auf dieser Grundlage eine Dienstleistung.

b) Die Bewertung anhand der üblichen Kriterien zur Abgrenzung von Dienstvertrag und Werkvertrag bestätigt diese rechtliche Einordnung. Die Kläger schuldeten nicht immer wieder einen bestimmten Erfolg, sondern die Maßnahmen, bei deren Beachtung sich der für Dritte gefahrlose Zustand des Gehweges im Winter einstellt. Soweit Vermieter diese Mühewaltung durch einen gewissen Abschlag bei der Höhe des Mietzinses berücksichtigen, erfolgt dies monatlich pauschal über das ganze Jahr, nicht etwa nur in den Wintermonaten und zudem abhängig vom Umfang der tatsächl...

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