Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung eines Strafrichters: Befangenheitsbesorgnis bei Beanstandung einer Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht als willkürlich

 

Orientierungssatz

Hat das Bundesverfassungsgericht als "maßgeblicher Interpret und Hüter der Verfassung" (Anschluss BVerfG, 10. Juni 1975, 2 BvR 1018/74, BVerfGE 40, 88) unanfechtbar festgestellt, dass eine (strafrechtliche) Entscheidung gegen das Willkürverbot verstoßen hat, erweckt schon diese bloße Feststellung für einen betroffenen Angeschuldigten den Anschein, dass die durch das Bundesverfassungsgericht beanstandete Entscheidung tatsächlich willkürlich gewesen ist.

 

Tenor

1. Das Ablehnungsgesuch des Angeschuldigten F. vom 06.07.2004 gegen den Richter G. wird zurückgewiesen.

2. Die Ablehnungsgesuche des Angeschuldigten F. vom 27.06.2004 gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht K. und den Richter am Landgericht F. werden für begründet erklärt.

 

Gründe

I. Ablehnungsgesuch gegen den Richter G.

Das Ablehnungsgesuch des Angeschuldigten Alexander F. vom 06.07.2004 gegen den Richter G. hat keinen Erfolg.

1. Gegen die Zulässigkeit dieser Ablehnung bestehen auch in Hinblick auf § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO keine durchgreifenden Bedenken. Zwar hat der Angeschuldigte im Schriftsatz vom 06.07.2004, in dem auch die Befangenheit des Richters G. geltend gemacht wird, konkrete Ablehnungsgründe nicht ausdrücklich benannt, sondern pauschal auf die Mitwirkung des abgelehnten Richters an dem Haftfortdauerbeschluss der Kammer vom 06.05.2004 abgestellt. Das Ablehnungsgesuch ist jedoch dahingehend auszulegen, dass die mit Ablehnungsgesuch vom 27.06.2004 unter Ziffer 3 aufgeführten Ablehnungsgründe auch in Bezug auf den Richter G. erhoben werden sollen.

2. Das somit zulässige Ablehnungsgesuch gegen den Richter G. erweist sich jedoch in der Sache als nicht begründet. Eine Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn der Beschuldigte bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhaltes Grund zu der Annahme hat, dem abgelehnten Richter fehle ihm gegenüber die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit (vgl. BGHSt 21, 334, 341). Dieses beurteilt sich aus der Sicht eines vernünftigen Beschuldigten (vgl. BGH, aaO.).

Die Mitwirkung eines Richters an Zwischenentscheidungen in einem anhängigen Verfahren und die in solchen Entscheidungen geäußerten Rechtsmeinungen rechtfertigen die Ablehnung eines Richters regelmäßig nicht (BGHSt 15, 40, 46 f.; BGH, NStZ 1985, 492; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 24 Rdnr. 14). Dies gilt selbst dann, wenn dem Richter Verfahrensfehler und tatsächliche Irrtümer unterlaufen oder die Entscheidung auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruht. Durch die Mitwirkung an Zwischenentscheidungen kann die Besorgnis der Befangenheit allenfalls dann begründet werden, wenn eine vertretene Rechtsansicht völlig abwegig ist (vgl. BGH, NJW 1984, 1907, 1909) oder die Entscheidung den Anschein der Willkür weckt (vgl. BayObLG, wistra 2002, 196; Meyer-Goßner, aaO. m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen besteht gegen den abgelehnten Richter G. eine Besorgnis der Befangenheit nicht. Der Haftfortdauerbeschluss der Kammer vom 06.05.2004 enthält weder abwegige Rechtsansichten, noch erweckt die Begründung des Beschlusses in ihrem Gesamtzusammenhang den Anschein einer willkürlichen Entscheidung. Willkürlich ist eine Maßnahme oder Entscheidung nur dann, wenn sie auf unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruht und unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheint (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 16 GVG Rdnr. 6 m.w.N.).

Daran fehlt es hier. Insbesondere der Umstand, dass in der Begründung des Beschlusses vom 06.05.2004 darauf hingewiesen wird, dass nach einem (mündlichen) Hinweis der Staatsanwaltschaft der Verbleib einer Geldsumme von € 100 Mio. ungeklärt sei, erweckt nicht den Anschein von Willkür. Insoweit ist von Bedeutung, dass die Erwägungen zum Verbleib des genannten Geldbetrages nicht im Rahmen der Prüfung angestellt werden, ob der Haftgrund der Fluchtgefahr vorliegt (wofür gem. § 112 Abs. 2 StPO das Vorliegen bestimmter Tatsachen vorausgesetzt wird), sondern es sich um Überlegungen im Rahmen der Prüfung handelt, ob zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen werden konnte, dass der Zweck der Untersuchungshaft auch durch mildere Maßnahmen - wie die Leistung einer angemessenen Sicherheit gem. § 116 Abs. 1 Nr. 4 StPO - erreicht werden kann. Bei dieser Prüfung erscheint es rechtlich vertretbar, jedenfalls aber nicht willkürlich, wenn in der - im Zwischenverfahren getroffenen - Entscheidung auf die dem Angeschuldigten bekannte mündliche Mitteilung der Staatsanwaltschaft Bezug genommen wird, dass auch die Ermittlungsbehörden über keine weiteren Erkenntnisse hinsichtlich des Verbleibs von € 100 Mio. verfügten. Angesichts des Gesamtzusammenhangs der Entscheidungsgründe, des Umfangs und der besonderen Schwierigkeit des vorliegenden Verfahrens und der Bezugnahme auf die bereits ergangenen zahlreichen Haftfortdauerentscheidungen, die sowohl die ...

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