Leitsatz (amtlich)

Leidet eine Einladung zu einer Eigentümerversammlung an verschiedenen formalen Mängeln, die in der Gesamtschau dazu führen, dass den Eigentümern die Teilnahme an der Versammlung unzumutbar ist, sind dadurch die Teilnahme- und Mitwirkungsrechte der Wohnungseigentümer in gravierender Weise beeinträchtigt, so dass die gefassten Beschlüsse, ohne dass es auf eine Kausalität ankommt, für ungültig zu erklären sind.

 

Verfahrensgang

AG Bensheim (Aktenzeichen 6 C 678/20 (14))

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten.

3. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf bis 16.000,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin begehrt mit ihrer gegen die übrigen Wohnungseigentümer der WEG gerichteten Anfechtungsklage die (Teil-)Ungültigerklärung verschiedener auf der Versammlung vom 29.10.2020 gefasster Beschlüsse.

Das Amtsgericht hat der Klage vollumfänglich stattgegeben. Wegen der Begründung der Entscheidung sowie der tatsächlichen Feststellungen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen. Zu ergänzen ist, dass die Verwalterin mit Schreiben vom 08.10.2020 zur Versammlung eingeladen hatte. Wegen des Inhalts des Einladungsschreibens, insbesondere der ihm beiliegenden „Informationen zur Durchführung der Eigentümerversammlung”, der Tagesordnung und der Vollmachtsvordrucke wird auf die Anlage … Bezug genommen. Die Versammlung fand an einem Wochentag, um 10.00 Uhr, im Büro der Verwaltung statt, welches sich ca. 20 km von der Liegenschaft entfernt befindet. In der Einladung wurde aufgrund der Corona-Situation gebeten, nicht persönlich zu erscheinen und ein vorbereitetes Vollmachtsformular zu nutzen. … Einem Eigentümer hatte die Verwalterin unter dem 20.10.2020 mitgeteilt, dass die Versammlung ein reines Abfragen von Abstimmverhalten sein werde.

Mit ihrer Berufung wenden sich die Beklagten gegen das Urteil und begehren unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils Klageabweisung. Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

II.

Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen, weshalb die zulässige Berufung keinen Erfolg haben konnte.

1.

Das Verfahren ist nach dem bisherigen Verfahrensrecht – gegen die übrigen Eigentümer – weiter zu führen (§ 48 Abs. 5 WEG), dies obschon die Klage erst nach dem 01.12.2020 zugestellt wurde. Denn es kommt entscheidend allein auf die Anhängigkeit, also den Klageeingang bei Gericht an (BeckOK BGB/Zschieschack/Orthmann, 61. Ed. 1.2.2022, WEG § 48 Rn. 24); eingegangen ist die Klage hier vor dem 01.12.2020, nämlich am 27.11.2020.

2.

Durch die WEG-Reform 2020 ist, entgegen der Auffassung der Berufung, auch für die Abrechnungsbeschlüsse das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin nicht entfallen. Die Frage, ob Beschlüsse, für welche nach dem neuen Recht keine umfassende Beschlusskompetenz mehr besteht (wie hier die Beschlüsse über die Genehmigung der Abrechnung und des Wirtschaftsplans), da dem neuen Recht eine Übergangsvorschrift nicht zu entnehmen ist (vgl. BeckOK BGB/Zschieschack/Orthmann, 61. Ed. 1.2.2022, WEG § 47 Rn. 3), mit Inkrafttreten des WEMoG (teil-)ungültig werden, kann dahinstehen. Denn es ergäbe sich allenfalls eine Unwirksamkeit ex nunc mit Inkrafttreten der Reform, jedoch keine rückwirkende Unwirksamkeit ex tunc. Steht aber jedenfalls noch die Wirksamkeit vor Inkrafttreten des WEMoG in Frage, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, solange Auswirkungen der Beschlussanfechtung auf Folgeprozesse nicht sicher auszuschließen sind (vgl. BGH NJW 2011, 2660), auch hier ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis anzunehmen.

3.

In der Sache sind die angefochtenen Beschlüsse nicht nichtig. Ein etwaiger, hier aber schon nicht zu erkennender, Verstoß gegen landesrechtliche Corona-Schutz-VO würde nicht zur Beschlussnichtigkeit führen. Eine Ungültigerklärung auf dieser Grundlage scheidet aus, weil die Klägerin diese Rüge nicht innerhalb der Anfechtungsbegründungsfrist des § 45 WEG geltend gemacht (zur CoronaSchutzVO Hessen siehe Kammer, Beschluss vom 29.03.2021 – 2/13 T 7/21, BeckRS 2021, 5639, NJW-RR 2021, 590).

a)

Die angefochtenen Beschlüsse waren aber für ungültig zu erklären, weil durch die Einladung zur Versammlung die Teilnahme- und Mitwirkungsrechte der Wohnungseigentümer in gravierender Weise beeinträchtigt waren, was unter Würdigung der Gesamtumstände letztlich das Teilnahmerecht der Wohnungseigentümer verletzte. Hier liegen schwerwiegende Verstöße gegen die anerkannten Grundsätze zur Wahl von Zeit und Ort der Versammlung vor, die unter Würdigung der Gesamtumstände der Einladung dazu führten, dass den Eigentümern die Teilnahme verwehrt wurde.

aa)

Die Wahl von Zeit und Ort war grob ermessensfehlerhaft. In Kombination mit den, bei isolierter Betrachtung wohl noch zulässigen, Hinweisen aus den Schreiben im Vorfeld der Versammlung, kam dies einer Ausl...

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