Verfahrensgang

AG Marl (Urteil vom 20.06.2016; Aktenzeichen 34 C 34/15)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 24.05.2018; Aktenzeichen 4 StR 643/17)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Marl vom 20.06.2016 – 34 C 34/15 – abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 218,72 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.12.2015 zu zahlen.

Im Übrigen werden die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

I.

Auf die Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a ZPO i.V.m. § 26

Nr. 8 EGZPO verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Berufung hat überwiegend Erfolg.

1.

Rechtsfehlerhaft hat das Amtsgericht den Unterlassungsanträgen der Klägerin stattgegeben.

Denn das Amtsgericht hätte die Klage als (zurzeit) unzulässig abweisen müssen, weil vor der Erhebung der Klage ein gemäß § 15a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EGZPO i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) JustG NRW erforderliches obligatorisches Schlichtungsverfahren unterblieben ist (vgl. LG Dortmund, Urt. v. 24.01.2017 – 1 S 166/16). Die Klage ist deshalb unheilbar unzulässig (vgl. BGH, Urt. v. 23.11.2004 – VI ZR 336/03 Rn. 15 f., zitiert nach juris; LG Dortmund, a.a.O.; Urt. v. 08.06.2017 – 1 S 451/15), was die Kammer von Amts wegen zu berücksichtigen hat (vgl. Heßler, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. (2016), § 15a EGZPO Rn. 24; Gruber, in: MünchKomm-ZPO, 4. Aufl. (2013), § 15a EGZPO Rn. 4).

a)

Es kann dahinstehen, ob sich der von der Klägerin geltend gemachte Unterlassungsanspruch materiell-rechtlich auf § 1004 Abs. 1 i.V.m. §§ 15 Abs. 3, 14 Nr. 1 WEG, § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 8, 9 LImSchG NRW oder § 862 BGB stützt. Denn auch in letzteren Fällen handelt es sich um eine Streitigkeit „über Ansprüche wegen der in § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuches geregelten Einwirkungen” i.S.d. § 53 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) JustG NRW, weil der Streitgegenstand den sachlichen Regelungsbereich des § 906 BGB betrifft (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl. (2016), § 15a EGZPO Rn. 5; Prütting/Gehrlein/Barth, ZPO, 6. Aufl. (2014), § 15a EGZPO Rn. 4; OLG Saarbrücken, Urt. v. 20.05.2015 – 1 U 131/14 = BeckRS 2015, 10748 Rn. 23; OLG Köln, Beschl. v. 18.01.2006 – 2 U 113/05 Rn. 4 f., zitiert nach juris; LG Bückeburg, Urt. v. 07.11.2012 – 1 S 40/12 Rn. 19 f., zitiert nach juris; für die Beseitigung störender Äste und Wurzeln offengelassen von BGH, Urt. v. 10.07.2009 – V ZR 69/08 = NZM 2009, 628 Rn. 9; allgemein für „Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche” BGH, Urt. v. 02.03.2012 – V ZR 169/11 = NZM 2012, 435 Rn. 7; a.A. ohne Begründung Stein/Jonas/Schlosser, 22. Aufl. (2002), § 15a EGZPO Rn. 7).

aa)

Die von der Klägerin behaupteten Fernseh- und Musikgeräusche stellen „Geräusche” i.S.d. § 906 Abs. 1 S. 1 BGB dar (vgl. MünchKomm-BGB/Brückner, 7. Aufl. (2017), § 906 Rn. 136; Staudinger/Gursky (2016), § 906 Rn. 158). Das gilt gleichermaßen für die behaupteten, durch Türknallen, Möbelverrücken, Stöckelschuhe oder dem Herablassen von Rollläden verursachten Geräusche.

bb)

Zwar findet § 906 BGB zwischen den Parteien keine unmittelbare Anwendung, weil die Vorschrift nach ihrem Wortlaut voraussetzt, dass die auf das Grundstück des Anspruchstellers einwirkende Störung von einem anderen Grundstück herrührt, es sich mithin um einen grenzüberschreitenden „Eingriff von außen” handelt (vgl. BGH, Urt. v. 25.10.2013 – V ZR 230/12 = NZM 2014, 37 (38) Rn. 13). Der sachliche Regelungsbereich des § 906 BGB, die widerstreitenden Nutzungsinteressen von (Grundstücks-) Nachbarn zum Ausgleich zu bringen, ist indes gleichwohl eröffnet. Denn die Vorschrift ist entsprechend anzuwenden, weil das Sondereigentum der Klägerin durch Einwirkungen beeinträchtigt wird, die von dem benachbarten Sondereigentum der Beklagten ausgehen (vgl. BGH, Urt. v. 25.10.2013 – V ZR 230/12 = NZM 2014, 37 (38) Rn. 12). Anders als bei Beeinträchtigungen, die von dem Gemeinschaftseigentum der Wohnungseigentümer ausgehen, geht es bei von Sondereigentum herrührenden Beeinträchtigungen nämlich ebenfalls um eine Beeinträchtigung „von außen”, weil sich insoweit strukturell keine gleichgerichteten Interessen gegenüberstehen. Die Berechtigung des Sondereigentümers, mit seinem „dinglich-gegenständlich abgegrenzten Gebäudeteil” grundsätzlich nach Belieben zu verfahren und jeden anderen von Einwirkungen hierauf ausschließen zu können (vgl. § 13 Abs. 1 WEG), zeigt, dass das Sondereigentum – auch in der Wahrnehmung des Rechtsverkehrs – als eine Art Ersatzgrundstück fungiert (vgl. BGH, Urt. v. 25.10.2013 – V ZR 230/12 = NZM 2014, 37 (38 f.) Rn. 15).

cc)

Ist für das Verhältnis der Sondereigentümer untereinander zumindest grundsätzlich auf die nachbarrechtlichen Regelungen zurückzugreifen (BGH, Urt. v. 25.10.2013 – V ZR 230/12 = NZM 2014, 37 (39) Rn. 19) und § 906 BGB entsprechend anzuwenden, sind kei...

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