Rz. 949

Haftungsfreizeichnungen für Pflichtverletzungen, die auf einfacher Fahrläs­sigkeit beruhen, werden – mit Ausnahme der Freizeichnung für die schuldhafte Verursachung von Körperschäden – nicht vom Klauselverbot des § 309 Nr. 7 BGB erfasst. Ihre Zulässigkeit beurteilt sich nach § 307 BGB. Danach sind Haftungsfreizeichnungen unwirksam, wenn sie die Verwendergegenseite entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.

 

Rz. 950

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist von einer unangemessenen Benachteiligung der Verwendergegenseite dann auszugehen, wenn der Klauselverwender seine Haftung für die schuldhafte Verletzung wesentlicher Vertragspflichten ausschließt oder dergestalt beschränkt, dass dadurch die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wird (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB).[2015] Neben dem in der Praxis gelegentlich anzutreffenden Begriff "vertragswesentliche Pflichten" werden die wesentlichen Vertragspflichten in Rechtsprechung und Schrifttum auch häufig als "Kardinalpflichten" bezeichnet.[2016] Die Frage, inwieweit diese Begrifflichkeiten dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB genügen, ist heftig umstritten (siehe hierzu Rdn 959 ff.).[2017]

 

Rz. 951

Als wesentliche Vertragspflichten bzw. Kardinalpflichten sieht der BGH solche Pflichten an, deren Erfüllung die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung erst ermöglicht und auf deren Einhaltung der Vertragspartner vertraut und auch vertrauen darf.[2018] Dabei sind die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Hauptpflichten eines Vertrags stets als wesentliche Vertragspflichten i.S.d. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB anzusehen.[2019] Aber auch Nebenleistungspflichten, wie z.B. die Pflicht des Reiseveranstalters, seine Kunden ungefragt über die Einreisebestimmungen zu unterrichten,[2020] oder die Obhutspflicht des Krankenhausträgers über die von Patienten eingebrachten Sachen[2021] können vertragswesentliche Pflichten begründen.

 

Rz. 952

Ein vollständiger Ausschluss der Haftung für die Verletzung wesentlicher Vertragspflichten verstößt bereits bei einfacher Fahrlässigkeit gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.[2022] Der Verwender kann sich in AGB von seiner Haftung für einfache Fahrlässigkeit nur freizeichnen, wenn keine wesentlichen Vertragspflichten und keine Körperschäden betroffen sind. In diesem Fall können auch Haftungsbegrenzungen jeglicher Art wirksam vereinbart werden.

[2015] BGH, Urt. v. 11.11.1992 – VIII ZR 238/91, NJW 1993, 335; BGH, Urt. v. 9.11.1989 – IX ZR 269/87, NJW 1990, 761, 764; BGH, Urt. v. 23.2.1984 – VII ZR 274/82, NJW 1985, 3016, 3017; BGH, Urt. v. 19.4.1978 – VIII ZR 39/77, NJW 1978, 1430, 1431.
[2016] BGH, Urt. v. 15.9.2005 – I ZR 58/03, NJW-RR 2006, 267, 268; BGH, Urt. v. 1.2.2005 – X ZR 10/04, NJW 2005, 1774; OLG Köln, Urt. v. 21.3.1997 – 19 U 215/96, NJW-RR 1998, 1274; siehe nur Beck'scher Online-Kommentar/Becker, BGB § 309 Nr. 7 Rn 21; Erman/Roloff, § 309 Rn 72, Palandt/Grüneberg, § 309 Rn 48.
[2017] Dazu BGH, Urt. v. 20.7.2005 – VIII ZR 121/04, BGHZ 164, 11 = NJW-RR 2005, 1496 ("Honda-Urteil"); Berger/Kleine, NJW 2007, 3526, 3527; Kappus, NJW 2006, 15; Kollmann, NJOZ 2011, 625, 626 f.; Ostendorf, ZGS 2006, 222; v. Westphalen, NJW 2006, 2228, 2232.
[2018] Siehe nur BGH, Urt. v. 20.7.2005 – VIII ZR 121/04, BGHZ 164, 11, 36 = NJW-RR 2005, 1496, 1505 m.w.N.
[2019] BGH, Beschl. v. 24.10.2001 – VIII ARZ 1/01, NJW 2002, 673, 675 m.w.N.; Staudinger/Coester, § 307 Rn 273 m.w.N.
[2020] BGH, Urt. v. 17.1.1985 – VII ZR 375/83, NJW 1985, 1165, 1166.
[2021] BGH, Urt. v. 9.11.1989 – IX ZR 269/87, NJW 1990, 761, 765.
[2022] BGH, Urt. v. 11.11.1992 – VIII ZR 238/91, NJW 1993, 335; BGH, Urt. v. 9.11.1989 – IX ZR 269/87, NJW 1990, 761, 764; BGH, Urt. v. 23.2.1984 – VII ZR 274/82, NJW 1985, 3016, 3017; BGH, Urt. v. 19.4.1978 – VIII ZR 39/77, NJW 1978, 1430, 1431.

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