Entscheidungsstichwort (Thema)

Befristeter Arbeitsvertrag. vertragliches Prozessarbeitsverhältnis. faktische Prozessbeschäftigung. Auslegung. Befristetes Prozessarbeitsverhältnis oder faktische Prozessbeschäftigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Von einem befristeten Prozessarbeitsverhältnis auf vertraglicher Basis ist zu unterscheiden die schlichte bzw. faktische Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung aus einem erstinstanzlichen Weiterbeschäftigungstitel. Die schlichte Prozessbeschäftigung in Erfüllung des titulierten Weiterbeschäftigungsanspruchs unterliegt nicht dem Schriftformerfordernis gemäß § 14 Abs. 4 TzBfG.

2. Ob die Beschäftigung eines Arbeitnehmers nach Ablauf eines befristeten Vertrages aufgrund eines Prozessarbeitsverhältnisses oder als faktische Prozessbeschäftigung erfolgt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Sofern der Arbeitnehmer auch nach einem klagabweisenden Berufungsurteil noch weiterbeschäftigt wird, spricht dieser Umstand für das Vorliegen eines vertraglichen Prozessarbeitsverhältnisses. Für eine faktische Prozessbeschäftigung zur Vermeidung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen hätte dann keine Veranlassung mehr bestanden.

 

Normenkette

TzBfG § 14 Abs. 4; BGB §§ 133, 157

 

Verfahrensgang

ArbG Kiel (Urteil vom 02.03.2011; Aktenzeichen 4 Ca 2172 b/10)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 02.03.2011, Az. öD 4 Ca 2172 b/10, abgeändert und

  1. festgestellt, dass zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht

    • mit Beginn der Betriebszugehörigkeit seit dem 07.01.2009,
    • mit einem Arbeitsanteil von 20,5 Unterrichtsstunden
    • zu tarifvertraglichen Bedingungen im Übrigen;
  2. die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits tatsächlich weiter zu beschäftigen als Lehrer im Land Schleswig-Holstein mit einem Arbeitszeitanteil von 20,5 Unterrichtsstunden zu den bisherigen arbeitsvertraglichen und tarifvertraglichen Bedingungen im Übrigen;
  3. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Rechnungsmonat Oktober 2010 einen Betrag von EUR 3.330,32 brutto zu zahlen abzüglich EUR 446,23 netto Teilzahlung der Beklagten abzüglich weiterer EUR 1.101,24 Forderungsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten oberhalb des Basiszinssatzes seit dem 01.11.2010.

2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen aufgrund einer unwirksamen Befristungsabrede ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht.

Der zwischenzeitlich 57-jährige Kläger ist bei dem beklagten Land auf der Grundlage mehrerer befristeter Teilzeit-Arbeitsverhältnisse seit dem 21.08.2006 als angestellter Lehrer in den Bereichen Grund- und Hauptschule, Realschule und Gymnasium beschäftigt. Über die Wirksamkeit der Befristungen der letzten Änderungsverträge vom 29.04.2008 (Schulzentrum A., befristet vom 01.05. bis 18.07.2008 und 10,5 wöchentliche Unterrichtsstunden) und vom 17.05.2008 (Realschule B.S., befristet vom 17.05. bis 18.07.2008 und 10 wöchentliche Unterrichtsstunden) führten die Parteien einen Entfristungsrechtsstreit. Mit Urteil vom 03.12.2008 gab das Arbeitsgericht Kiel dem Feststellungsantrag sowie dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers statt (öD 4 Ca 1422 b/08). Auf die Berufung der Beklagten wies das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit Urteil vom 26.03.2009 unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage insgesamt ab (4 Sa 1/09). Die hiergegen eingelegte Revision des Klägers wies das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 06.10.2010 zurück (7 AZR 397/09).

Nach der Kammerverhandlung vor dem Arbeitsgericht (öD 4 Ca 1422 b/08) machte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 15.12.2008 gegenüber der Beklagten seine Weiterbeschäftigung wie folgt geltend (Bl. 92, 93 d. A.):

„In obiger Angelegenheit dürfte auch Ihnen das Protokoll des Arbeitsgerichts Kiel vom 03.12.2008 vorliegen.

Das Land ist danach verpflichtet, seit dem 03.12.2008 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits unseren Mandanten tatsächlich zu den bisherigen Bedingungen weiter zu beschäftigen. Bitte weisen Sie in diesem Sinne schriftlich bestätigend unserem Mandanten Arbeitsort, Arbeitsaufgabe und Arbeitsumfang zu. Den

22.12.2008, 11.00 Uhr

notieren wir als Frist für den Eingang Ihrer schriftlichen Bestätigung. Für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs nehmen wir

Zwangsvollstreckungsandrohung

vor.”

Mit Schreiben vom 22.12.2008 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin Folgendes mit (Bl. 32 d. A.):

„Nachdem das Gericht festgestellt hat, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Befristungen ab dem 17.05.2008 und 01.05.2008 am 18.07.2008 geendet habe, bemessen sich Arbeitsort, -aufgabe und -umfang weiterhin nach den geschlossenen Arbeitsverträgen.

Ihr Mandant möge seine Arbeitsverpflichtung an den entsprechenden Schulen nach den Weihnachtsferien längstens bis zum rechtskräftigen Abschl...

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